Ich bin glücklich. Vor mir flitzt die kleine schwarz-weiße Setterrakete, das orangene Zuggeschirr leuchtet. Es regnet, wir laufen fast alleine durch den Wald. Ich war schon zu lange nicht mehr da, die Färbung der Blätter ins herbstliche Bunt ist bisher an uns vorbei gegangen.
Vor uns flattert ein Vogel auf, Ben gibt noch einmal Gas und reißt mich aus meinen Gedanken. „Geil“, denke ich, als ich seinen Boost im Zug auf meinen Hüften merke, „was für ein Tempo wir entwickeln können.“ Ich möchte unbedingt schneller werden, unbedingt sehen, was er leisten kann.
Noch vor kurzem sah es aus, als ob wir überhaupt nicht gemeinsam laufen könnten. Ben kam mit gebrochenem und einer Platte versorgtem Bein aus Andalusien zu mir. Radius-Ulna-Bruch. Vor der angedachten Plattenentfernung wurden Herzwürmer diagnostiziert, die er nur dank einer aufwändigen Behandlung über mehrere Monate überstand.
Überraschung bei der Befundbesprechung
Sechs Monate nach dieser schweren Zeit gab es dann die Freigabe – keine Herzwürmer mehr zu finden im kleinen Körper, keine Schäden, die zurückgeblieben waren, die Platte konnte nun entfernt werden. Das Kontrollröntgen wurde noch am gleichen Tag durchgeführt. Bei der Befundbesprechung wartete eine kleine Überraschung auf uns, die sich während der Operation leider bestätigte: Beim Zusammenwachsen des Bruchs hatte es Komplikationen gegeben und es waren lose Knochenstücke sichtbar.
Doch nicht nur das, bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass Elle und Speiche miteinander verwachsen waren. Auch wenn der Orthopäde mich beruhigte und mir sagte, dass Ben dadurch im Alltag keine Einschränkungen haben würde, wurde mir schlecht. Mit dieser Verwachsung würde er nie in der Lage sein, dass Bein wie vorgesehen zu bewegen.
Uneingeschränkt?
Normalerweise bewegen sich Elle und Speiche beim Laufen gegeneinander. Beim Landen auf dem Boden nach einem Sprung fängt die Drehbewegung den Schwung mit auf. Auch beim Toben mit anderen Hunden, Laufen auf Untergründen, Abbremsen aus dem Lauf und Wegrutschen spielt die Drehbewegung eine wichtige Rolle. Wenn diese Drehung aufgrund einer Verwachsung nun nicht mehr möglich ist, kann von keiner Einschränkung nicht wirklich die Rede sein. Auch wenn Ben natürlich laufen und sein Bein nutzen kann, wird die fehlende Drehung immer einen Einfluss auf die umliegenden Gelenke, Bänder, Sehnen und Muskeln und damit früher oder später auch auf den gesamten Körper haben.
Bis zu einem gewissen Grad kann ich mit meiner Physiotherapie hier eingreifen und Einfluss nehmen. Die Veränderungen im Bewegungsablauf jedoch, die sind unabwendbar, genauso wie daraus resultierende Fehl- und Überbelastungen.
Und noch etwas schwebt da in der Luft und über unserer beider Köpfe: Welches Risiko bringt die Verwachsung mit sich? Ist sie fester oder flexibler als die Knochen von Elle und Speiche? Kann sie brechen und wenn ja, was bedeutet das für Bens Bein und das, was er überhaupt darf im Alltag?
Hilfreiche Zweitmeinung
Ich ziehe andere Hundephysios zu Rate, erhalte wenig hilfreiche Antworten. Beschließe, die Person zu kontaktieren, die mir schon bei Ambers Zughunde-Aus tatkräftig zur Seite stand. Meine Ausbilderin aus der Sporthundephysio. Sie kennt Ben nicht, ich hoffe, sie nimmt sich trotzdem meiner an. Ich beschreibe die komplette Geschichte, sende ihr Röntgenbilder. Beschreibe, was ich in der Reha-Phase nach der Operation schon getan habe, wie er ist, was wir vorhaben.
Sie nimmt sich Zeit. Denkt sich rein. Meldet sich zurück. Mit einer Menge Information, Rückfragen, neuen Impulsen.
Und alles nur, um die wichtigste Frage zu beantworten: Wie soll Bens Leben aussehen? Er ist geschätzte drei Jahre alt, settertypisch mit Freude und Vollgas unterwegs, eine lebensfrohe Rakete mit hohem Erregungslevel.
In der Wartezeit auf die Antwort hat sich deutlich gezeigt: Mit zu wenig Bewegung kommt Ben nicht zurecht. Nur Leine und Spaziergänge sind nicht genug für einen jungen Jagdhund, der clever ist, schnell versteht und arbeiten will. Bereits bei Buddy war eines klar – ich gehöre zu den Menschen, die ihrem Hund ein möglichst unbeschwertes Leben ermöglichen wollen. Für sein Handicap können beide nichts, die Verantwortung, wie das Leben meiner Rabauken aussieht, trage ich. Mit allen Konsequenzen.
A thin line between love and fun
Ein schmaler Grat, wenn du deine Hunde glücklich sehen möchtest, im Hinterkopf doch immer das Risiko schreit. Wenn dieses Risiko den geliebten Racker am liebsten in Watte packen möchte, damit du möglichst lange gemeinsame Zeit erleben kannst. Wenn du dir bewusst bist, dass der fröhliche Lauf über Stock und Stein gegebenenfalls dazu führen könnte, dass er sich verletzt, das Bein dann vielleicht nicht mehr zu heilen geht.
Keine schöne Situation, an manchen Tagen, wenn du dir Unbeschwertheit wünschst, den Kopf vielleicht einfach mal abschalten möchtest beim Abenteuer mit deinem Räuber, vielleicht noch ein kleines bisschen weniger schön.
Was heute zählt und was wir für morgen planen
Dennoch – was zählt ist das Heute und Hier. Niemand weiß, was morgen sein wird. Und sollte morgen alles blöde sein, möchte ich wenigstens das Heute genossen haben.
Natürlich wird alles etwas kontrollierter laufen. Bestimmte Dinge wird es im Leben des Kleenen nur abgespeckt oder gar nicht geben. Gesunder Muskelaufbau, Arbeit an Resilienz und Erregungslevel werden eine große Aufgabe sein, die uns weiter begleiten wird. Die Dinge, die er liebt, werden wir finetunen, anpassen an einen Bewegungsablauf, der möglichst gesund für ihn sein wird.
Vor allem aber werden wir eins – zusammen laufen. Denn das ist das, was wir beide lieben, was uns zusammenschweißt. Was uns zum Team macht.
Und ich verspreche dir hier und jetzt, dass ich mein bestes tun werde, dich dein Leben lang dabei zu unterstützen, dass dir nichts passiert dabei. Damit du das schönste aller Leben haben kannst – so, wie Buddy auch.
Und wenn doch etwas passiert? Dann sind wir vorbereitet, haben Risiken abgewägt, gemildert, in Kauf genommen. Uns bereit erklärt, Worst Case-Konsequenzen zu tragen. Echtes Risikomanagement eben. Hoffen wir trotzdem, dass es nie soweit kommt.
Lasst es euch gut gehen,
Kerstin mit Buddy, Amber und Ben