Seit mittlerweile fast vier Jahren arbeite ich im Home Office. Komplett remote, mit der Option, von unterwegs zu arbeiten. Einen ganzen Monat lang sogar aus Europa ohne große Schwierigkeiten.
Was jahrelang auf meinem Visionboard klebte und ein großer Traum von mir war, stellt sich in der Realität als gar nicht immer so verlockend heraus. Großer Vorteil: Die Hunde sind immer bei mir, eigentlich nicht alleine. Zumindest tagsüber nicht und so kann ich abends problemlos meine Hundepatienten besuchen. Auch lange Fahrtwege fallen aus, kein täglicher Stau mehr auf vielbefahrenen Autobahnen oder Nadelöhrbrücken.
Dadurch aber auch kein wirklicher Cut am Ende des Arbeitstages, kein Kopfabschalten durch Hörbücher oder Podcasts, die mich in den 20 -35 Minuten nach Hause längst auf andere Gedanken gebracht haben.
Von Vermissen und Gewissen
Keine Kollegen, die ungeliebte Süßigkeiten der Kindergeburtstage oder frisch probierte Kuchenkreationen mit ins Büro bringen. Keine Überraschungsnikoläuse auf dem Schreibtisch, keine Weihnachtsdekorationen im Novemberregen, wenn man sich doch einmal wieder überwindet, mit Bus und Bahn ins Büro zu fahren. Keine spontanen Treffen am Kaffeeautomat, keine unerwartet netten Gespräche, wenn man einfach mal müde ist und sich einen überteuerten Snack aus dem oberen Stockwerk mit der Dachterrasse holt.
Dafür altbekannte Gesichter beim Bäcker des Vertrauens, der auch nicht weiter weg ist als besagter Snackautomat, dessen Besuch aber im Vergleich zum Ausflug in den vierten Stock immer ein maues Gefühl von schlechtem Gewissen hinterlässt.
Genauso wie die schnelle Hunderunde, weil die Sonne zu verlockend scheint und das Auto noch umgeparkt werden muss. Sicherlich dauert sie nicht länger, als in cool gestylten Office Spaces auf den gezogenen Kaffee zu warten und dabei schnell das schon längst gespülte Geschirr aus dem Automat in die einheitsgrauen Schränke zu räumen, weil es ja sonst eh wieder keiner macht. Gesünder ist sie sicherlich auch.
Dennoch fühlt es sich nicht richtig an, so, als müsste ich minutiös protokollieren, wie lange ich gelaufen bin, um diese Zeit auf jeden Fall auch nachzuarbeiten.
Traum in klein
Im letzten Jahr habe ich den ersten kleinen Versuch gestartet, meinen Traum zu leben, in die Realität umzusetzen. Ich habe das Reisemobil und die Reiserabauken gepackt, einen kleinen, abgelegenen Campingplatz gesucht und mich für eine kurze Woche zum Arbeiten ans Thüringer Meer verzogen.
Das Wetter meinte es gut mit uns, ich schlief wie ein Baby, in der Morgensonne machten wir uns auf zur ersten Gassirunde, sogen den Waldduft ein während wir Schritt für Schritt die umliegenden Hügel erklommen, sahen die Sonne glitzern durch die Baumwipfel, wollten mehr und mehr, aber natürlich nahm ich Rücksicht auf meinen großen Labrador-Opi, für den solche Berge schon da etwas anstrengend waren.
In der Entschleunigung von Morgenporridge und French-Press-Coffee drückte die Uhr sofort nicht mehr drohend im Nacken, ganz automatisch und ohne mir Gedanken zu machen, begann ich pünktlich um 09.00 mit der Arbeit.
Der Campingplatzbesitzer bot uns eine Picknickbank mit WLAN an zum Arbeiten, allerdings hielten Seminarteilnehmer und andere Platzbewohner wenig davon, dass ich ohne Kontaktwunsch nach außen konzentriert und in Ruhe an meinen Meetings teilnehmen wollte.
Wer kann schon zwei flirtenden Labrador- und Setterjungs widerstehen und sich fernhalten?
Schnell zog ich zurück ans Auto. Die Arbeitszeit verging wie im Flug, die Mittagspause verbrachte ich mit der Zubereitung eines leichten Snacks oder Salates. Den Rest des Nachmittags fieberte ich auf die große Abendrunde mit dem Juniorabenteurer hin. Die Tage gestalteten sich natürlich. Ich erledigte einfach meine Aufgaben, brauchte keinen Timer, keine Motivationspausen und keine Ablenkung durch Social Media.
Das Abendessen gestaltete sich einfach, und wenn ich müde war, legte ich mich ins Auto, schaltete einen Podcast ein und schlief ohne mehrfach aufzuwachen oder vor dem Einschlafen noch irgendetwas mit Unmengen von Süßigkeiten zu betäuben.
Mehr wird es erst einmal nicht werden
Nach vier Tagen wurde dann aber auch klar: In solch einem kleinen Auto ist es auf längere Zeit für Buddy zu unbequem. Er ist sich in seinem Körper nicht mehr sicher, braucht etwas mehr Raum, um sich frei zu bewegen. Die schweren Beine machen es ihm unmöglich, sich alleine zurückzuziehen, wenn der Boden zu klamm und kalt für den Seniorkörper wird. Schweren Herzens verabschiedete ich mich schon damals gedanklich von dem 1-monatigen Nordeuropa-Trip, zumindest im kleinen Caddy.
Den Winter über arbeitete ich komplett von zuhause aus. Bekam zu Weihnachten das Buch „Arbeite doch, von wo du willst“ geschenkt. Las voller Sehnsucht und Vorfreude darin und merkte gleichzeitig immer mehr, wie alleine eine Arbeitswoche vor dem PC dich fühlen lassen kann. Unglaublich froh und dankbar war ich über meine Physiopatienten, die Verbindung zum „echten Leben“, zur Außenwelt.
Fürs Unterwegssein allerdings sind natürlich genau diese Termine das, was mich an Ort und Stelle hält, die Spontanität des „einfach los wann auch immer es mir beliebt“ killt. Und weil die jeweiligen Patienten nicht aus Spaß bei mir sind, fällt es mir das ein oder andere Mal auch besonders schwer, hier lange Urlaubszeiträume von mehreren Wochen für mich einzuplanen.
Käfigbauteile
Lange fand ich das ein unlösbares Dilemma, bis mir wieder einmal klar wurde, wie viel davon Käfigbauteile nur in meinem Kopf sind. Wie leicht es doch sein könnte, wenn ich davon das ein oder andere Bauteil sein lassen könnte. Keinem Patienten ist geholfen, wenn ich vor Erschöpfung bei der Behandlung neben ihm einschlafe. Kein Chef hat etwas davon, wenn ich sieben Stunden auf den PC-Bildschirm starre und nichts mehr zustande bringe, während eine Runde im Sonnenschein sofort die Kreativität wieder ins Sprudeln brächte.
Letztendlich geht es „nur“ darum, die Aufgaben, die mir aufgetragen werden in angemessener Qualität zu erledigen. Die Freiräume, die eine solche Arbeitsweise bietet, muss ich mir schon selbst erlauben, damit sich auch die Vorteile eines solchen Arbeitslebens zeigen. Die Nachteile auszugleichen, ist möglicherweise auch nicht alleine meine gefühlt unlösbare Aufgabe, gibt es doch einige Gleichgesinnte, denen es auch so geht.
Vielleicht bedeutet in diesem Fall Work-Life-Balance, dass zum Ausgleich eben tatsächlich etwas mehr Leben draußen unter Menschen stattfinden muss, als es vielleicht bei denen der Fall ist, die zum Arbeiten mit anderen in einem Gebäude sind.
Immer stiller in die Einbahnstraße
Noch andere Dinge sind mir aber deutlich bewusst geworden: In meinem Leben war es die letzten Jahre sehr anstrengend. Auf jedem Level, beruflich, gesundheitlich, in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich habe mich weiterentwickelt, an mir gearbeitet, und tue es noch. Durch Bens Krankengeschichte lag der Fokus vor allem auf dem Finanziellen, um ihn auch adäquat behandeln und dies auch bezahlen zu können. Zeit für Pausen, Verarbeiten, Ausruhen, gab es da kaum.
Für meinen neuen Arbeitgeber habe ich mich unter anderem deshalb entschieden, da hier viel für die Mitarbeiter getan wurde und wird. Die ganze Firma befasst sich mit dem Thema Mitarbeitergesundheit, ob auf körperlicher oder mentaler Ebene. Verbunden wird das ganze mit spielerischer Herausforderung, die dich auch an den Tagen bei der Stange hält, an denen es dir selbst nicht so leicht fällt, dich zu motivieren.
Genau mein Ding! Nach einigen wieder anstrengenden Monaten, die maßgeblich der oben geschilderten Situation und meinen Herausforderungen damit geschuldet waren, fiel mir etwas auf: Anstelle in Zeiten größter Demotivation und Erschöpfung auch hier dem neuen Umfeld und dem neuen Umgang zu vertrauen, verfiel ich in Schweigen, begann, mich nach anderen Möglichkeiten umzusehen, „obwohl ich doch eigentlich…“.
Speak up
Die Erkenntnisse, die ich für mich gewann, blieben in meinem Kopf, in meiner Familie, selten auch mal bei Freunden. Vor lauter Anstrengung war ich zu müde, aktiv auf meine Chefin zuzugehen und mit ihr über die neue Situation zu sprechen. Stattdessen legte ich meine ganze Energie in die Aufgaben, die zu erledigen waren sowie in die Kreation eines neuen Visionboards.
Wie wollte ich zukünftig – natürlich in einer anderen Firma – arbeiten? Monatelang wusste ich keine Antwort, traute mir selbst nicht, hatte höchsten Respekt vor meiner eigenen Impulsivität und hielt sie nur schwer im Zaum.
Irgendwann, in einem Freitagscall, platzte die Erschöpfung der letzten Tage aus mir heraus und mit ihr auch die frisch gewonnenen Erkenntnisse.
Doch statt mich abzubügeln, hörte sie mir zu. Statt der Antwort, die ich mir gegeben hatte („Deine Befindlichkeiten interessieren hier nicht, funktioniere!), hörte sie, was ich zu sagen hatte, nahm mich ernst, skizzierte erste Ideen. Die Tatsache, dass das Gespräch völlig anders lief als erwartet, ermüdete mich zusätzlich.
Glaub nicht alles, was du denkst
Es zeigte mir jedoch genauso deutlich, wie sehr man eben in seinen Denkmustern gefangen ist. Wie viel man selbst bewirken kann, wenn man sich den unbewussten Gedanken widmet, sich selbst hinterfragt, ein wenig anders agiert, als man es in der Vergangenheit getan hätte.
Noch ein anderer schlauer Spruch fällt mir ein: „Die Definition von Wahnsinn ist: Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“
So leicht Herr Einstein diese schlaue Weisheit mal eben in Stein gemeißelt hat, so schwer ist es, eben diese Steine von „gegeben“ im eigenen Hirn zu zertrümmern. Energiesparend ist es nun einmal, immer und immer in die gleichen Schubladen zu schieben.
Wieso soll ich überhaupt hinterfragen, was ich mir da so mühevoll über Jahre stabil gemauert habe und mir ein Fels in der Brandung ist?
Das Zerschlagen von Mauern
Doch ist es nicht genau das, was Leichtigkeit ins Leben bringt? Die Abwesenheit, das Zerschlagen von Mauern. Was, wenn die vermeintliche Sicherheit in Wahrheit nichts anderes ist als ein Gefängnis, die dicken Mauersteine dich abhalten von dem, was wirklich drin sein könnte für dich?
Was, wenn der von der Vernunft gereichte Umschlag aus dem Jahrmarkt der Wunderlichkeiten solche Lehren für mich bereit hält, dass ich mich noch immer nur ehrfürchtig beugen kann?
Beantworten können werde ich mir das wahrscheinlich nur im Rückblick. Heute nehme ich mir dennoch den Vorschlaghammer, hebe ihn kraftvoll in die Luft und schlage auf die Mauern ein, so fest ich kann.
Lasst es euch gut gehen.
Kerstin mit Buddy, Amber und Ben