Leise atmend liegt der Räuber neben mir. Sein Brustkorb hebt und senkt sich gleichmäßig, während draußen die Regentropfen prasseln. In Gedanken spreche ich ein Danke aus für sein Atmen. Ich bin froh, dass es leise ist, klingt das doch die letzten Wochen und Monate meistens anders.

Röchelnd, angestrengt, so, als bremst ihn etwas aus. Dazu hustet er, würgt er. Das Geräusch fährt mir durch Mark und Bein. Es macht mich wütend.

Lange schon habe ich mich gefragt, wieso ausgerechnet Wut, wenn ich doch eigentlich unterstützen möchte. Ich selbst habe Asthma, und das letzte, was ich bei einem Anfall möchte, ist, dass jemand mit mir sauer wird.

Plötzliche Erkenntnis

Gestern dann, auf der Fahrt, im Gespräch mit meiner Mum, traf es mich wie der Blitz. Minutenlang rang ich um Fassung.

Das Geräusch erinnert mich an den schlimmsten Moment meines Lebens. An die Hilflosigkeit, an ein brutales Ende, an mich als junges Frau, die eine Hand verzweifelt festhält und viel zu früh lernen muss, dass das Leben andere Pläne hat und Menschen nun einmal sterben müssen, der Körper von manchen Dingen nun einmal nicht mehr heilt und nicht allem gewachsen ist, was mit ihm passiert.

Mir wird schwarz vor Augen. Seit mehr als zwanzig Jahren ist dieser Moment etwas, das mich ins Taumeln bringt. Lange habe ich nichts und niemanden an mich heran gelassen, aus Angst, mich jemals wieder so hilflos fühlen zu müssen.

Schon seit Jahren beschäftige ich mit dem Thema “Loslassen”, um für Buddy und Ambers unvermeidliches Ende wenigstens irgendwie geschützt zu sein.

“Bitte nicht so etwas Brutales, er hat schon genug durch.” sage ich zu meiner Mama. “Bitte nicht so etwas Brutales, ich hab schon genug durch.” ergänzt etwas im Inneren in Gedanken.

Von Kontrolle und Sicherheit

Trotzdem bin ich dankbar für die Erkenntnis. Dankbar dafür, dass mich Rise up and Shine University und Pawsitive Life® Coaching-Ausbildung ausgestattet haben mit einem Koffer voller Werkzeug, mit dem ich meine eigenen Glaubenssätze und Überzeugungen beleuchten und reparieren kann.

“Es hat etwas mit Kontrolle zu tun. Sicherheit. Wahrscheinlich muss ich akzeptieren lernen, dass ich das Leben nun mal nicht kontrollieren kann.” sage ich zu meiner Mum.

“Ich würde es so sehen: Vielleicht ist Buddy dein größter Lehrer, der dir hilft, nun auch noch dein schwierigstes Thema im Leben aufzulösen.”

Ich höre mich antworten, dass er ja sowieso schon einen großen Teil meines Lebens ins andere Bahnen gelenkt hat, aber die Worte sacken nach. Tun mir gut.

Der größte Lehrer

Ich mag diese Herangehensweise, die Dankbarkeit für das Wesen gegenüber und die Idee, dass Dinge in dein Leben treten, um dich zu lehren, dir etwas beizubringen.

Besser als verzweifelte Versuche, mir unerklärlich brutale Ereignisse rational zu erklären, schaffe ich es so, genauer hinzuschauen, eine Verbindung zu meinen Gefühlen zu bekommen, zu sehen, was es mit mir macht.

Vor Schmerz schützt das natürlich nicht, und es macht Ereignisse nicht weniger brutal, aber irgendwie ist genau das der Punkt: mit dieser Herangehensweise darf ich sie stehen lassen, wie sie sind: Schmerzhaft, unfair, mit nichts zu erklären, nicht zu beschönigen, nicht zu relativieren.

Diese Akzeptanz wiederum erlaubt mir, meine Emotionen anzuschauen, zu überlegen, was ich jetzt brauche, welche Schlüsse ich für mich, mein Leben und mein weiteres Vorgehen ziehen darf aus dem, was passiert, anstatt alles zu verpacken in Kartons mit der Aufschrift: “Hintern zusammen kneifen, da musst du jetzt durch.” oder “Da musst du jetzt aber mal langsam drüber weg sein.”

Mindestens haltbar bis

Trauer und Verlust haben nun einmal kein Verfallsdatum. Sie sind da, wenn sie da sind, und der Schmerz kann dich jederzeit wieder umhauen. Ein Duft, ein Song, ein Dialekt, ein bestimmter Blick, der Gang eines anderen Menschen und schon ist alles wieder da.

Anstatt das wie früher jedoch als Angriff auf meine Stärke zu sehen, steigt heute mit der Trauer die Dankbarkeit in mir hoch und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.

Ich kann dankbar sein für die schöne Zeit, die wir hatten, bin dankbar dafür, gefühlt zu haben, dass manche Lebewesen nun einmal die Verlängerung deines eigenen Herzens sind, sich da reinbohren, einnisten und einfach nicht mehr entfernt werden können.

Was für ein Wunder, so synchron zu schwimmen, sich verstanden, aufgehoben und zuhause zu fühlen. Auch wenn die Bahn endlich ist, der laue gemeinsame Abend am See irgendwann ein Ende nimmt, die Mücken kommen, die Sonne untergeht.

Mögen wir hier noch lange im von der Sonne gewärmten Wasser schwimmen. Möge Trauer uns ein Lächeln der Dankbarkeit ins Gesicht zaubern und wir auf solche lauen Sommerabende noch lange sehnsuchtsvoll und voller Glück zurück blicken.

Lasst es euch gut gehen.

 

Kerstin mit Buddy, Amber und Ben

 

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