Es ist still. Gruselstill.

Im Dunkeln glitzert die Wasseroberfläche. Selbst das Haus der Nachbarn, die immer wach sind, trägt schwarz. Hinter dem Gebüsch lauert der erste auf mich: ” Heute wären wir in Polen angekommen.” Der lang ersehnte Roadtrip. Drei Monate Auszeit konnte ich mit meinem Arbeitgeber vereinbaren, drei Monate Zeit für Rabauken und mich, sechs Wochen davon, um mit ihnen endlich mein geliebtes Baltikum zu entdecken. Auf dem Weg dahin die polnische Sahara. Pfoten im Sand, wenn schon Marokko praktischen Überlegungen weichen musste. Mein Herz sticht.

Mein Kopf korrigiert sofort: “Das ist nicht die Zeit, alle müssen Abstriche machen.” Das Herz gibt klein bei. Möchte traurig sein, sich enttäuscht fühlen, traut sich aber nicht. 

Die Füße stolpern über den nächsten: “Gefragt, wie es dir geht, das hat aber keiner.” Ich muss schlucken. Wahr ist das nicht, aber so ist das nun mal mit den Einsamkeitsgedanken. Sie treffen deine Ängste ins Mark, spiegeln dir vor, ganz alleine zu sein, ganz unbedeutsam unwichtig unsichtbar.

Wünsche ich mir sonst absolute Ruhe, so würde ich jetzt gerade alles geben für ein im Dunkeln über den Damm bretterndes Fahrrad. Mit Hunden. Mit Stress, Getöse und Lärm, um die fiesen Blödsorgen im Gebüsch einfach zu vergessen.

Es ist still. Ich werde immer kleiner. Möchte das gar nicht, möchte groß sein, stark sein, aus der Ferne die unterstützen, die es wirklich brauchen.

Seit mittlerweile drei Wochen bin ich im Haus. Risikogruppe. So unwirklich ist das. Ein Stempel krank, das bin doch nicht ich. Das Asthma gut eingestellt, geht es mir besser als all die Jahre zuvor. Wir joggen. Wir wandern. Ihre Majestät sieht das anders, stempelt unbarmherzig, nimmt, was ihr gefällt und mir das, was mir sonst so wichtig ist: Meine Hilfsbereitschaft. Meine Selbständigkeit. Unabhängigkeit. Freiheit.

Für die Vernunft gebe ich klein bei. Ordne mich unter. Will unterstüzten. Will nicht, dass jemand meinen Zoo versorgen muss, weil ich unachtsam war. Ich wasche meine Hände noch gründlicher als sonst. Das Gefühl, angreifbar zu sein, schäumt auch zweimal happy Birthday nicht davon.

 

Eine liebe Nachbarin bietet mir an, für mich einzukaufen. Ich bin erleichtert, dankbar. Nie hätte ich gefragt, nie jemand anderem meinen Mist aufgebürdet. Die Liste, die ich ihr mitgebe, halte ich klein. Möchte nicht, dass sie schwer tragen muss für mich. Sie hat genug zu tragen.

Zweimal täglich laufen wir die schlechten Nachrichten in den Wald. Ausgebremst betrachte ich die immer gleichen Wege mit anderen Augen. Die Sonne strahlt durch die Bäume. Es sieht verdammt schön aus, was sich da so blöd anfühlt. Manchmal so sehr, dass es von innen die Tränen in die Augen drückt. Das Ringen beginnt. Jetzt ist nicht die Zeit für Schwäche. Jetzt ist die Zeit für Zusammenhalt. Ich halte zusammen.

In der Sonne glitzert die Wasseroberfläche.

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