Gestern früh habe ich meinen bergischen Wald sehr vermisst. Dieses eine Stück, für das du schon eine Weile gelaufen sein musstest, in dem es ruhig wurde, wohin sich kaum jemand verirrte. Auf dessen Boden das Moos wuchs, durch dessen Bäume die Sonne strahlte und diesen besonderen Geruch im Frühling hervor brachte von Wärme, Fichtennadel, dem Versprechen, was nun kommen könnte.
Ich fühle mich gar nicht nach Versprechen, erst recht nicht nach etwas, was nun kommen könnte. Schon seit Monaten wankt und wabert alles um mich herum, ich versuche, mir etwas Sicherheit zu kreieren, um einfach mal wieder Kraft zu haben für neue Wege. Nach meinem Tempo, nicht in dem der anderen.
Hätte, wäre, bräuchte…
Mein bergischer Wald hätte mir gut getan heute. Mich umarmt, mich um den Finger gewickelt, mir Mut gegeben. Er ist aber nun mal zu weit weg. Außerdem geht es Buddy nicht gut. Er ist ultra-anhänglich, möchte ständig bei mir sein, auf jede Runde mit, aber aus den in den letzten Tagen so fleißigen Füßen sind nun wieder kraftlose Knickbeinchen geworden.
Ich will ihn nicht alleine lassen, habe Angst davor, irgendwann zu bereuen, dass ich mich dagegen entschieden habe, ihn mitzunehmen, auch wenn ich für mich gerade Ruhe und Entspannung bräuchte. So hole ich das Adventure-Mobil aus dem Nebengebäude. Weil wir es so lange stiefmütterlich behandelt haben, sind die Reifen platt.
Wann es Zeit ist, aufzugeben
Die Luftpumpe wird geholt, die Hunde in ihren schicken neuen Outfits an den Handlauf vor der Haustür gebunden, das Adventure-Mobil steht in der Sonne. In Weste und Pulli wird mir schnell zu warm, ich kann tatsächlich im T-Shirt auf dem Boden sitzen. In “geht nicht gibt’s nicht”-Stimmung pumpe ich, was das Zeug hält. Der Reifen füllt sich nicht, es tut sich gar nichts.
In meinem Rücken spüre ich ein Auto nach dem anderen. Ich justiere, verschließe die Luftpumpe am Ventil, versuche es erst mit den anderen Rädern, die sich problemlos aufpumpen lassen. Voll neuen Mutes widme ich mich wieder dem ersten, der nun ein bisschen Luft behält. Ganz füllen will er sich nicht, was soll’s.
Ich beschließe, es zu wagen. Lasse die Jungs unter der Linde ihr erstes Geschäft verrichten (Amber ist sich dafür zu schade), packe Buddy in den Wagen und ab geht die lustige Fahrt. Bereits nach wenigen Metern merke ich, die Luft wird nicht reichen. Wir halten wieder, ich versuche es erneut, nichts zu machen.
Die weiße Fahne
Untypisch für mich: Ich gebe auf. Packe die Pumpe ein, drehe um, bin einfach nur enttäuscht. Laufe vorbei am Marktplatz, an dem viele glückliche Menschen das erste Eis des Jahres gemeinsam genießen. Wir geben einen lustigen Anblick ab, etwas, dass man nicht übersehen kann. Wir laufen mitten auf der Straße, als hinter uns ein weiteres Auto einbiegt. Just in diesem Moment kutscht sich Amber aufs Kopfsteinpflaster und lässt laufen. Vor den Autos. Vor den Menschen. Mir reißt der Geduldsfaden. Seit 12,5 Jahren sind Toilettengänge auf der Straße tabu und ausgerechnet jetzt und hier fällt ihr nichts besseres ein?
Natürlich lässt sich das Ganze noch toppen, denn einmal gestartet, will natürlich alles aus dem Körper des Ömchens. Spätestens, als ich dem frühlingsfrisch glänzenden Sportmobil auf dem Seitenstreifen mit meinem Adventure-Mobil beim Aufsammeln noch fast einen neuen Rennstreifen verpasse, weiß ich, es ist wirklich Zeit, aufzugeben.
Lift yourself up and try again
Ich bringe die beiden Großen zurück ins Haus und gehe allein mit dem Kleenen los. Einen Weg, der mir schon oft gut getan hat, habe ich vor Augen, auch wenn er größtenteils aus der Standard-Tagesrunde Richtung Kapelle besteht. Die alte Eisenbahnstrecke. Irgendwie tun mir die Windungen gut, dort lang zu laufen beruhigt mich genauso, wie es mich beruhigt, wenn ich in alten, gleichmäßig schaukelnden Züge sitze. Ein Stück Wald liegt auch auf dem Weg.
Ben ist beim Laufen völlig drüber, sein Hirn ist voller Frühling. Ich kann nicht anders, als über ihn zu lachen, wie er einfach nicht genug kriegen kann von allen Eindrücken, der Welt um ihn herum, und von einem Eck zum nächsten rast. Auch anderen Spaziergängern geht es so. Wir werden ständig angesprochen, sind unendlich langsam trotz seiner wilden Entdeckerei.
Abbiegungen
An der Abbiegung zur alten Eisenbahnstrecke zieht er mich in die andere Richtung. Ich überlege kurz. Eigentlich lasse ich an solchen Tagen meistens meine Hunde die Wege aussuchen, weil zumindest die Großen ein gutes Gespür für spannende Trails haben. Ben’s Auswahl war bisher eher bescheiden, aber wir wollen ja zusammenwachsen und schon in kurzer Zeit ein gemeinsames Dogtrekking starten. Ich lasse die Eisenbahnstrecke Eisenbahnstrecke sein und folge ihm. Schon an der nächsten Ecke entpuppt sich das, was wie eine zugewachsene Sackgasse aussah, als genau das, was ich heute brauchte: Der Wald riecht nach Wärme, Fichtennadeln und die Sonne strahlt durch die Bäume.
Just what I need
Schon nach einigen hundert Metern wird das Moos am Boden dichter, ein vom Sturm geknickter Baum zieht mich magisch an und wir nehmen Platz für eine gemeinsame Pause. Solche Momente wären früher undenkbar gewesen, ich schicke einen heimlichen Dank an meine Begleitung der letzten Jahre, die mir gezeigt hat, das solche Pausen notwendig und wunderschön sind. Ich habe es ihm gleichgetan und uns einen Snack eingepackt, den wir uns hier teilen. Ich weiß, es würde dir gefallen hier. Ich hätte dich gerne dabei.
Nach einem kurzen Moment der Ruhe, als die ersten Spaziergänger in der Ferne sichtbar werden, packe ich zusammen und wir gehen weiter. Obwohl wir nun schon einige Kilometer gegangen sind, hat Ben sich noch immer nicht beruhigt. Ich mache mir eine mentale Notiz, zukünftig neben den Snacks auch den Gurt einzupacken, damit das Hin und Her möglich ist, ohne dass die Strecke für mich anstrengend wird.
Planlos vertrauensvoll
Wir laufen weiter, ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Ich habe kein Netz. Kurz denke ich darüber nach, dass es beim Dogtrekking auch so sein wird. Wir haben kein Team gebildet und es flößt mir gehörigen Respekt ein, dass ich nicht weiß, ob ich das schaffen werde. Die einzige Lösung: Weiter gehen, sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, Ben und mir und meinen Fähigkeiten vertrauen.
Vielleicht ist ja genau das gerade meine Aufgabe. Pläne scheinen nicht zu funktionieren, immer und immer wieder. Schon lange wünsche ich mir, im Moment zu sein, mich vertrauensvoll einlassen zu können auf das Hier und Jetzt und mich ganz auf mich und meine Fähigkeiten zu besinnen. Wir werden schon irgendwo ankommen. Und gerade zeigt sich ja wieder und wieder deutlich: Auch wenn ich neue Wege gar nicht gehen wollte – belohnt werde ich, wenn ich genau das tue.
Lasst es euch gut gehen!
Kerstin mit Buddy, Amber und Ben