Ben ist anstrengend. Sein Gezerre an der Leine nervt. Es beeinflußt meinen Körper. Verursacht mir Schmerzen. Bringt mein Gemüt zum Kochen und mich an meine Grenzen.

Dachte ich in der Vergangenheit, Buddy oder Faro hätten an der Leine gezogen, werde ich nun eines besseren belehrt. Ben bringt das auf ein ganz neues Level. Er galoppiert mit Vollgas in die Leine hinein. Jeder Außenreiz lenkt ihn ab.

Von Hundebegegnungen gar nicht erst zu reden. Er schreit sich in Hysterie, sobald ein Hund an uns vorbei zieht.

Das schlimme: Als er ankam, war er tiefenentspannt. Es liegt also an mir.

Spieglein, Spieglein

Also gehe ich in mich. Beginne nachzudenken. Irgendwie ist da eine riesige Blockade in mir. In meinem Kopf kann es nicht leicht, einfach und unbeschwert sein mit meinen Hunden. Ständig bin ich auf der Suche nach einem Problem, will irgendetwas verbessern. Letztendlich endet es damit, dass ich kaum noch aus dem Haus gehen mag, auf Spaziergänge keine Lust mehr habe.

Natürlich, Ben ist ein junger Hund, er muss noch viel lernen. Ich übe täglich mit ihm. Er hat unglaublich viel verstanden, ist clever und hat Spaß am Ausprobieren, wenn ich ihn lasse. Aber irgendetwas steht uns im Weg.

Was nervt mich eigentlich am meisten? Am schlimmsten finde ich das wirre Hin- und Herlaufen, sowie das Gezerre in die Leine.

Ich mag es generell nicht unstrukturiert, Chaos überfordert mich, und ich hasse es, wenn alles an mir zerrt und ich das Gefühl habe, die Kontrolle über die Situation zu verlieren.

Innerlich muss ich schon jetzt grinsen – wie war das mit ‘Hunde spiegeln uns’?

Auf Knopfdruck im Griff

Ich denke zurück an die Anfangszeit mit Amber in Deutschland. Da war es schon einmal so.

Peinlich war es mir, dass sie nicht ‘funktioniert’ hat an der Leine, wollte ich nach außen doch immer beweisen, wie sehr ich alles im Griff habe. Lautes Gebell und ein ausflippender Hund passen da nicht rein, erst recht nicht in eine Welt, in der ich mir selbst nur erlaube, beim ersten Versuch alles richtig zu machen.

Mit Amber ging das nicht. Ihr Verhalten hat mich so extrem überfordert, dass ich sie nirgendwo mehr mit hingenommen habe. Teilweise habe ich sie für Tage in die Betreuung gebracht, um einmal durchatmen und mit Buddy schöne Spaziergänge genießen zu können.

Letztendlich hat mich der Blick der anderen von außen erst darauf gebracht, was für ein toller, kompetenter Hund sie ist.

Sie hat mir deutlich aufgezeigt, was ich zu lernen hatte. Ein klein beigeben meinerseits hat sie nicht akzeptiert. Heute bin ich unendlich dankbar dafür, kann ich doch in meinem täglichen Alltag in der Praxis aus einem unendlichen Repertoire schöpfen, auch vorsichtige Hunde motivieren und bereits ganz feine Veränderungen im Verhalten registrieren und darauf eingehen.

Anstrengend? Dann geb ich lieber auf!

So eine persönliche Weiterentwicklung ist anstrengend. Ständig schubst dich die Herausforderung deines Tieres aus deiner Komfortzone, ob du das nun möchtest oder nicht. Ben fordert mich in einer Zeit, in der ich gefühlt sowieso nichts anderes mache, als alte Themen zu bearbeiten.

Burnout-Reste wabern noch immer durch meinen Körper, die Umstellung auf die Selbständigkeit erfordert ein ganz anderes Mindset von mir. Irgendwie hatte ich mir erhofft, dass eben dieses automatisch meine Themen mit Ben auflösen würde.

Bin ich ehrlich mit mir, so falle ich trotzt neuem Mindset jedoch schnell wieder in die Strenge zurück. Ins Rationale, Kontrollierte. Spaß, Lockerheit oder gar Ausgelassenheit erlaube ich mir noch immer selten. Ben jedoch bockt genau dagegen an. Ziehe ich die Leine fester, wird unser Laufen ein einziger Kampf. Was er braucht, ist Raum, Vertrauen, ein Kopf, der gedanklich bei ihm ist und nicht im nächsten Online-Programm oder Social Media-Post.

Eigentlich völlig klar. Und umso interessanter, dass ausgerechnet ich, die gerade aus dem Angestelltenrahmen ausgebrochen ist, und schon ein langes Menschenleben lang nicht klar kommt mit Enge und strikten Vorgaben, dies einem jungen Wildfang überstülpen will. Selbst brauche ich Freiheit, Raum für Entfaltung, gleichzeitig enge ich ein Tier, das rassebedingt auf Selbständigkeit und unendliche Weiten vorprogrammiert ist, in ein Korsett für mein eigenes Gefühl von Kontrolle.

Geplante Ausgelassenheit

Hier gilt es, endlich Balance zu finden zwischen einer vorgegebenen Struktur, an der er sich orientieren kann und der Freiheit, die das Leben für uns beide angenehm macht.

Denn: Spiele ich ausgelassen mit ihm oder joggen wir im Zuggeschirr durch den Wald, ist er der glücklichste Hund auf Erden. Obowhl mir das unendlich gut tut, tue ich mich im Alltag schwer mit Ausgelassenheit, mit Loslassen, die Zeit vergessen. Muss mich richtig darauf einstellen, sie quasi im Terminkalender einplanen.

Als wir den ersten Spaziergang an der 17 Meter-Schleppe machten, den Futterdummy im Schlepptau und das erste Mal draußen im Einsatz, lief er strahlend neben mir, himmelte mich an, wartete auf den nächsten Wurf. Die Sonne schien, und mir schoss ein Gedanke durch den Kopf: ‘Dieser Hund gibt mir meine Freiheit zurück.’

Was für ein wertvolles Geschenk. Fragt sich nur, ob ich es annehme und dafür Verwendung finde oder der komfortable Gedankenkäfig mein Zuhause bleibt.

Lasst es euch gut gehen.

Kerstin mit Buddy, Amber und Ben

2 Replies to “Funktionstier oder geplante Ausgelassenheit”

  1. Unser Vierbeiner hat anfangs auch an der Leine gezogen.
    Jetzt zum Glück und mit viel Ausdauer haben wie die Leinenführigkeit unter Kontrolle bekommen.
    Klar, ab und an zieht er in Ecken an dem es besonders riecht, aber im Ganzen macht er sich ganz gut.

    Es erfordert sehr viel Übung und Nerven.

    LG Lisa

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert