Die drei Rabauken im Gepäck, fahre ich in den nahe gelegenen Wald. Es ist kurz nach zehn und nieselt leicht, perfektes Wetter für einen Lauf.

Laut brüllt das schlechte Gewissen im Hinterkopf: “Du benimmst dich, als hättest du Urlaub.”

Ein weiteres Beispiel dafür, wie schlecht ich abschalten kann.

Wie sehr ich getrieben bin vom “was ich mache, wenn ich nicht mehr kann? – Weiter!”, obwohl ich dachte, diesen Ansporn hätte ich längst hinter mir gelassen.

Der Arzttermin letzte Woche bewies anderes. Bogen um Bogen Persönlichkeitstest wurden mir ausgehändigt.

Nach Beantwortung aller Fragen wurde deutlich sichtbar – wo ich hin komme, möchte ich etwas bewegen.

Das, worauf ich so stolz bin, mein Engagement, mein Elan, meine Power, genau diese Eigenschaften brachten mich nun an den Punkt, an dem nichts mehr geht.

Erschöpft und ausgelaugt

Konzentrationsstörungen, Schwindel, Heißhungerattacken, Schlafstörungen. Pure Erschöpfung.

Auch nach 10 Tagen Krankschreibung hat sich hier nicht viel getan.

Obwohl mir nichts anderes bleibt, als herunter zu fahren, langsam zu machen. Meine persönliche Toleranz fürs zuhause “herum liegen” habe ich längst erreicht.

Obwohl der Kopf weiterhin jeden Tag in den Wolken schwebt, ist mein erster Gedanke jeden Morgen “jetzt hast du dich lang genug ausgeruht, heute geht aber mal wieder was.”

Tatsächlich geht jedoch nichts. Ein Burnout entsteht meistens über einen Zeitraum von mehreren Jahren, lese ich auf der Seite der Rehaklink, für die ich mich interessiere.

12 Stadien beschreibt das dort dargestellte Modell des Erschöpfungsprozesses, ab Stadium 6 ist bereits professionelle Hilfe erforderlich.

Was ich dort sehe erschreckt mich. Zu sehr erkenne ich mich in den beschriebenen Phasen wieder.

Gleichzeitig hilft es mir nicht weiter, zu spät habe ich erkannt, dass eben solche Hilfe von außen früher notwendig gewesen wäre.

Was jedoch hilft mir nun?

Die Schritte zur professionellen Hilfe sind mühsam. Zwei Möglichkeiten hat der Arzt mir an die Hand gegeben: Ambulante Therapie oder ein Reha-Aufenthalt.

Er selbst kann die Therapie jedoch nicht weiterführen – keine freien Plätze.

So sieht es fast überall aus. Ich melde mich bei der Hotline 116 117, über die Termine vermittelt werden.

Auch die nette Dame am Telefon findet auf Anhieb keinen freien Platz. Eine Woche Bearbeitungszeit erbittet sie sich.

Ich stimme zu. Gleichzeitig mache ich mir Gedanken – was, wenn der zugewiesene Therapeut nicht mein Fall ist?

Eine wirkliche Wahloption habe ich nicht, wenn sowieso keine Plätze zur Verfügung stehen, auf der anderen Seite gibt es wenig Persönlicheres als eine Therapie. Da wünsche ich mir schon einen kompetenten Ansprechpartner an die Seite, dem ich auch vertrauen kann.

Die Reha muss über die Rentenversicherung beantragt werden. Im Internet recherchiere ich über die Möglichkeit einer Reha mit Hund. Auch hier ist die Dame am Telefon sehr nett und klärt mich über die verschiedenen Möglichkeiten der Aufnahme auf.

Warteliste, Wartezeit zwischen 3 und 5 Monaten. Alternativ kann ich mich auch auf eine Standby-Liste setzen lassen, was bedeutet, ich müsste flexibel anreisen. Aufgrund der Krankschreibung halte ich das nicht für ein Problem. Zum Schluss des Telefonats schiebt sie noch eine Anmerkung nach: “Ach, warten Sie, die Wartezeit für den Aufenthalt mit Tieren ist eine andere. Sie beträgt 1 Jahr.”

Ich lege auf. Ich kann nicht anders, als zu lachen. Es war mir klar, dass es schwierig werden würde und dass die Therapeuten nicht herum sitzen und auf mich warten, aber 1 Jahr?

Ressourcen

Wieder einmal bin ich dankbar für das Umfeld, mit dem ich sprechen kann. Darüber, dass ich bereits einiges an Erfahrungen und zugehörige Tools mitbringe und mir zumindest einen Rahmen aufrecht erhalten kann. Was jedoch ist mit den Patienten, die diese Ressourcen nicht haben? Wer hilft ihnen in der Zwischenzeit weiter?

Die Gespräche sind so mühsam in meinem jetzigen Zustand, dass ich am Tag nur eines erledigen kann. Wieder und wieder entsetzt mich, wie mein Körper mich abregelt, als ich versuche, ein paar alltägliche Dinge zusätzlich abzuarbeiten.

Ich gebe mich geschlagen. Verschwinde ins Bett. Zwei Sätze aus den Gesprächen schwirren mir im Kopf herum: Konzentrieren Sie sich darauf, was Ihnen Kraft gibt. Erlauben Sie sich all das, was Sie sich sonst verbieten.

Aber was gibt mir Kraft?

Und was soll es sein, dass ich mir sonst verbiete?

Langsam beginne ich zu verstehen, dass ich nur noch funktioniert habe in den letzten Jahren. Erholung und vor allem Freude sind im Vergleich zu dem, was ich täglich abgearbeitet habe, einfach zu kurz gekommen. Heute erscheint mir die Frage, was mir eigentlich Freude bereitet, wie eine unlösbare Aufgabe.

Ich fahre in den Supermarkt. Kaufe alles ein, was es sonst nicht gibt: Eis, Luxussüßigkeiten, Magazine. Fühle mich komisch dabei, nicht richtig.

Mit der Dose Salzkaramell-Mandeln auf dem Bauch denke ich weiter nach: Wann fühle ich mich voller Energie?

Sofort denke ich ans Laufen. Als ich damals begann damit, steckte der Kopf ebenfalls tief in den Wolken. Anschließend, nach jedem kleinen Lauf jedoch, fühlte ich mich frei, stark, voller Energie.

Vorsicht, Falle!

Was nun aber nicht passieren darf, ist, dass ich umschwenke. Vom exzessiven To Do zuhause in exzessiven Sport. Auch das hat mir die Dame der Beratungsstelle mit auf den Weg gegeben.

Ich denke an das, was mein Freund mir gesagt hat, als ich letzte Woche bereits einen ersten kurzen Lauf mit Ben gestartet hatte: “Vielleicht wollen Buddy und Amber auch mal wieder laufen.”

Bevor das Gedankenkarussell aus Wenns und Abers über Gesundheitszustand und potentiellen Hundebegegnungen im Wald wieder beginnt, schnüre ich am nächsten  Morgen die Laufschuhe. Packe den Zuggurt ein, um die Hände frei zu haben. Amber tänzelt in Vorfreude.

Als wir starten, muss ich mich zwingen, den Fokus von der Pace weg zu lenken. Zeit spielt heute keine Rolle. Strecke auch nicht. Buddy schafft keine großen Geschwindigkeiten, Ben darf aufgrund der Platte im Bein noch gar nicht wirklich joggen. Das spielt mir in die Karten, hilft mir, legt meinem Ehrgeiz und Leistungsdruck Zaumzeug an.

Ben interessiert das Verbot nicht wirklich. Er zerrt wie ein Ochse. Ich bemühe mich, gedanklich im Hier und Jetzt zu bleiben, auch wenn ich mich innerlich freue auf zukünftige Canicross-Rennen mit der kleinen Kanone. Heute aber, heute geht das noch nicht.

Nach einigen Metern beginne ich, mich auf die Musik in meinem Ohr zu konzentrieren und die Umgebung wahr zu nehmen. Buddy hat sich in lockerem Trab eingependelt, Amber strahlt und führt souverän.

Überraschenderweise steckt dies auch die Minirakete an, glücklich darüber, dass wir nun mehr in Setter-Tempo unterwegs sind, läuft er deutlich entspannter vorne weg.

Ich merke, wie zufrieden ich bin. So könnten wir ewig laufen.

Weg vom Funktionieren

Zuhause angekommen springe ich ein paar Stufen der Treppe hinauf und bin selbst verdutzt – Glück. Im Herzen. Echte Freude!

Schon wieder bin ich dankbar.

Dass mir noch ein langer Weg voller mühsamer kleiner Schritte bevor steht, ist mir bewusst. Wenn ich aber immer mal wieder ein Stück davon gemeinsam mit meinen Rabauken laufen kann, bin ich glücklich.

Lasst es euch gut gehen,

Kerstin mit Buddy, Amber und Ben

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