Da steht er nun. Der Satz, der alles verändern könnte. Hingeschrieben aufs Papier, beim Frühstück, ohne groß darüber nachzudenken. Eine schnelle Antwort auf eine eigentlich recht einfache Frage im Tagebuch, vor kurzem erhalten von einer Freundin.

“Was würdest du tun, wenn du keine Angst vor Fehlern hättest?”

Meine Reaktion darauf hat mich völlig überrascht. “Ich würde in meiner alten Heimat ein kleines Haus kaufen, eine Hundephysiotherapiepraxis eröffnen, einen weiteren Hund aufnehmen und weiter schreiben.” Nichts davon kam bisher in Frage. Außer dem Schreiben natürlich. Bewusst hatte ich mich immer und immer wieder gegen die möglichen Optionen entschieden. Die Idee an sich ist nicht neu, kam ich an meine Grenzen und wusste nicht mehr weiter, so war sie sofort präsent. Genau aus diesem Grund habe ich sie bisher jedoch auch abgetan. Sie als Flucht betrachtet aus einem Alltag, der mir in dem Moment nur einfach stressig erschien, in dem ich jedoch eigentlich ganz zufrieden war.

Flucht aus dem Alltag oder echte Alternative?

Eigentlich. Was aber, wenn sich zeigt, dass es sich nicht nur um eine fixe Fluchtidee handelt? Sondern um ein alternatives Lebensmodell? Der Gedanke daran macht mir Angst. Zieht er doch endlose Kreise.

Eingestehen, dass der bisher gegangene Weg nicht mehr zu einem passt. Der heutige Job und das Umfeld vielleicht auch nicht. Viel habe ich getan, um dort zu sein, wo ich jetzt bin. Das Erreichen eines Ziels sollte es sein. Eigentlich. So fühlt es sich jedoch nicht an. Häufig muss ich mich zwingen, manchmal bin ich sehr unglücklich über den gegenseitigen täglichen Umgang. Druck, Stress, ruppige Worte. Wenig Anerkennung. Kann das alles gewesen sein? Aber meine Kollegen? Die mag ich sehr, ohne sie hätte ich längst das Handtuch geworfen. Ist es nicht normal, dass der Job manchmal einfach nervt und wenig Freude macht? Sind es nicht die Menschen um dich herum, die es erst zu etwas Gutem machen?

Artenvielfalt der Ausreden

Hundephysiotherapie? Ausgebildet bin ich längst. Anfang des Jahres habe ich meine Arbeitszeit reduziert. Im ersten Schritt um meinen und in Folge den Stress der Rabauken zu reduzieren, mich neu zu ordnen und mehr Zeit und Qualität für mich und die Tiere in meinem Leben zu haben. Zu Beginn habe ich noch einige Physiopatienten behandelt, mich sogar für ein paar Stunden die Woche in einer etablierten Praxis beworben. Als es dann über den Sommer immer ruhiger wurde und die Praxis eine flexiblere Alternative gefunden hatte, war ich erleichtert. Froh darüber, kein weiteres To Do auf meiner Liste zu haben. Die Rabauken und ich verbrachten viel Zeit draußen. Trainierten, wurden fitter und fitter. Vor kurzem erhielt ich eine Anfrage. Ob ich nicht Lust hätte, die Ausbildung zur Sporthundephysiotherapeutin auf meine bisherige zu packen. Ich hätte. Realisierte aber gleichzeitig und mehr zufällig noch etwas ganz anderes: Den wahren Grund dafür, weshalb ich nicht aktiver wurde im Bereich der Physio. Es ist ein ganz einfacher: Ich traue es mir nicht zu. Die gefühlt riesige Konkurrenz drückt mich auf den Boden, bevor ich überhaupt den ersten Schritt gewagt habe. Nur logisch deshalb, dass ich sofort eine Praxis eröffnen würde, wenn ich keine Angst vor Fehlern hätte. Wie bringe ich das ins echte Leben? Dort, wo die Angst vor Fehlern nun mal existiert und diese sich häufig auch finanziell bemerkbar machen? Schwer ist die Antwort nicht: Ein Schritt nach dem anderen. Babysteps. Die Erfahrung des letzten Jahres hat mir klar gezeigt, was sich bewegt, wenn man den ersten Schritt einfach geht. Auch wenn man dabei aussieht wie ein unbeholfenes Elefantenbaby auf Eis.

Immobil?

Und das Haus? Bisher dachte ich immer, dass eine Immobilie meinem Drang nach Freiheit absolut entgegen steht. Zwei Herzen schlugen laut in meiner Brust. Mein Auto wollte ich verkaufen, tauschen gegen einen Van. Vanlife mit Hund. Irgendwie stand ich mir jedoch auch hier fröhlich im Weg. So einfach wäre es gewesen, nicht abzuwarten, einfach los zu legen, wirklich auf die Suche zu gehen. Vor allem in einer Familie voller Kfz-Meister und auto- und technikaffiner Männner. Irgendetwas hielt mich immer ab. Zu vielfältig waren die Optionen, zu groß die Angst vor der Einsamkeit und dem endgültigen Verlust eines Zuhauses. Zu lange hatte ich gebraucht, um nach meinem Auslandsaufenthalt wieder Fuß zu fassen. Mich angekommen zu fühlen. Dennoch, die heutige Wohnung passt nicht mehr wirklich zu uns. Sie ist wunderschön, aber auch riesig, zu groß für Minimalismus. Mitten im Trubel und Leben, während ich mich nach Ruhe sehne. Für entspannte Spaziergänge brauche ich fast immer das Auto, weil es vor der Tür zu laut und voll ist. Bereits vor einigen Monaten hatte ich mich nach einer Alternative umgeschaut, fast die Koffer gepackt. Ein Haus im Wald mit großem Grundstück. Damals kam etwas dazwischen, ich wagte es nicht. Nun stellte sich jedoch heraus, dass es die Wohnung selbst ist, die noch einem weiteren Bestandteil meines Traums im Wege steht: Ein weiterer Hund darf in der jetzigen Wohnung nicht bei uns einziehen. Alleine wäre das niemals ein Grund für einen Umzug gewesen. Im Gesamtbild jedoch fühle ich mich fest in eine Richtung gedrückt.

Eines jedoch gibt mir zu denken. Etwas, das ich in den nächsten Tagen noch weiter für mich beleuchten möchte. Bevor ich meine Entscheidungen treffe, Babysteps gehe. In allen Bestandteilen des Traums ist eines deutlich sichtbar: Ein absolutes Bedürfnis nach Freiheit. Nach Unabhängigkeit. Ein Unwillen gegen vorgegebene Wege, Regeln, Verbote, die mir anderweitig aufgelegt werden. Vielleicht ein bockiges kleines Ding. Vielleicht aber auch eine gute Voraussetzung, mutige, neue Pfade zu finden und einzuschlagen.

Es bleibt spannend.

Hattet ihr auch schon solche Phasen?

Lasst es euch gut gehen.

Sie

 

6 Replies to “Rebell Yell oder Was würdest du tun?”

  1. Liebe Kerstin,
    ich kann deine Gedanken sehr gut nachvollziehen. Die Sehnsucht nach Ankommen, das Bedürfnis nach Freiheit, ebenso die Angst vor Fehlern. Vielleicht gibt das kleine Haus dir die Freiheit, deine Selbständigkeit aufzubauen?! So war es bei mir. Und trotzdem denke ich über Vanlife nach. Ein Haus läßt sich auch wieder verkaufen… ? Ich wünsche dir alles erdenklich Gute für deine Entscheidungen. Und übrigens glaube ich auf jeden Fall, dass dein Drang nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sehr gute Voraussetzungen sind, neue und mutige Pfade einzuschlagen!
    Herzliche Grüße von Andrea

    1. Lieben Dank. Ich denke, dass das schon die erste Erkenntnis ist, dass sich jede Entscheidung auch wieder rückgängig machen oder variieren lässt. Zumindest ein, zwei kleine Schritte lassen sich recht einfach gehen, ich hoffe, der Rest ergibt sich von selbst. Ich bin aber auch sehr gespannt, wie es bei euch weiter geht.
      Ganz liebe Grüße von uns an euch!

  2. Kerstin, deine Zweifel hatte ich anfangs genauso. Dann hab ich es gewagt und es war schwer aber es lief. Jetzt 14 Jahre später bin ich auf dem Weg zurück ! Mein Haus zu groß, das Dorf zu einsam, zuviel Platz indem sich Unmengen an Krempel angesammelt haben. Wenn ich keine Angst hätte, würde ich in meine geliebte Heimat Stadt Köln zurück ziehen. Mit 1-2 Kolleginnen eine mittelgroße Praxis betreiben. Abends die Praxis abschließen und nach Hause gehen, in eine überschauliche Wohnung, ohne Mega Garten und Hof, Mal ein Wochenende frei, wäre auch nicht schlecht. Wenn du reden/tauschen willst, melde dich ?

    1. Interessant, das auch mal aus dieser Sicht zu hören. Vor allem, wo du doch zu meinen großen Vorbildern gehörst! Ich schreibe dir gleich mal.

  3. Liebe Kerstin

    Vielen Dank für deinen Artikel und dass du deine sehr persönlichen Gedanken darin teilst. Es ist so schön, zu lesen, wie du deinen Weg gehst. Die Frage “Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest.” ist auch so eine Wunderfrage, die einem seine innersten Bedürfnisse sichtbar machen kann. Aber natürlich ist die Angst trotzdem noch da. Sie wird vielleicht auch immer da sein. Eine gute Idee sind die Babysteps, wie du sie nennst. Dann kommt die Angst mit und wandelt sich in Mut. Mit jedem Schritt gewinnen wir mehr Freiheit.

    Ich wünsche dir Vertrauen ins Leben und dass du immer wieder spürst: Du bist auf deinem Weg!

    Wir lesen voneinander 🙂

    Anna

    1. Danke schön, liebe Anna! Ich muss zwischendurch immer wieder an dich denken. Vielleicht melde ich mich doch mal bald bei dir! Liebe Grüße, Kerstin

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