Die letzte Woche war anstrengend. Stressig, Migräne, viele schlechte Hundebegegnungen, ein Vortrag mit noch einmal neuen Ansätzen, die mich vor Herausforderungen stellten. Ein saftiger Hundehaufen, in den ich tief versunken bin beim Beseitigen der Hinterlassenschaften meiner eigenen Rabauken und letztendlich eine vor der Nase zugeschlagene Tür, während ich versuchte, in meine zeternde Gang ein wenig Ruhe zu bringen. Kurze Krise. Durchatmen, Gedanken ordnen, eigenes Verhalten reflektieren und analysieren.

UmgangMitNeuemSoNicht

“Hör mir doch mal zu” hieß der Vortrag von Mirko Tomasini, den wir in Lindlar im Bergischen besuchten. Sein Buch hatte ich gelesen, live sah ich ihn zum ersten Mal. Früher hatte ich seine Ansätze abgelehnt. Ich hatte eine Trainerin bei mir, die nach seiner Philosophie trainierte. Die Begegnung lief unerfreulich, ich verstand die Zeichen, die ich den Hunden geben sollte, als aggressive Zurechtweisung und ärgerte mich fürchterlich, wenn sie mir auswichen. Der Spaziergang mutierte zum Kräfte messen. Zu guter Letzt schnappte Amber im Übersprung nach Buddy, da sie völlig eingeengt und mit der Situation überfordert in ein kleines Eck zwischen mir, Zaun und Brücke gequetscht war, während zwei große Hunde auf uns zu stürmten. Ich brach das Training ab und verwarf den Ansatz. Bis der Nachbar kam und mir mit seinen Hunden vorführte, wie es auch laufen konnte. Mich überzeugte davon, es noch einmal zu versuchen. Erzählt habe ich davon schon einmal in einem älteren Artikel. Für Amber hat das gut funktioniert, bei Buddy war ich mir immer sicher, dass er eine andere Ansprache braucht. Irgendwie hat er zwar schon reagiert, wich mir aber dennoch eher aus, während ich mit unserer alten Methode recht gut zurecht kam.

Im Vortrag habe ich dann ein Video gesehen, bei dem es mir wie Schuppen von den Augen fiel: Ein kleiner, hektischer Wusel, der in den Raum lief um alle im Video anwesenden Teilnehmer “zu begrüßen”, während der Schäferhund neben ihm fast die Nerven verlor. Mirko erklärte, wie der Wusel die eigentlich für den Halter bestimmten Aufgaben übernimmt, während der Schäferhund gar nicht weiß, wo er zuerst anfangen soll. Ich fühlte mich ertappt. Versuchte, Buddy draußen die Aufgabe zu nehmen, von der ich bis dato gar nicht wußte, dass er sie hatte. Fürsorglich zu werden, mich darum zu kümmern. Dankbar nahm er an. Blieb im Wald ganz nah bei mir. Als ich die Lichtung in Augenschein nahm, bevor ich sie zum Laufen frei gab, stand er ruhig und ohne ein Stopp-Kommando hinter mir und wartete ab. Ich war baff und musste daran denken, dass Mirko genau das vorher gesagt hatte. Die Zweifel nagten dennoch in mir. Und noch etwas anderes schlich sich ein: Der Spaziergang war so ruhig. Zu ruhig. War es mir ohne Getobe nicht fast schon langweilig?

Die nächsten Spaziergänge verliefen ähnlich. Zu Beginn musste ich mich noch ein wenig durchsetzen. Sanft überzeugen, dass ich nun wirklich bereit bin, mich zu kümmern. Nach dem Gezeter Anfang der Woche ließen mich die beiden bei der nächsten Hundebegegnung aussehen, als sei ich die einzige, die damit ein Problem hat.

Ich war erleichtert. Dennoch – von der Angst vor nur vorübergehenden Erfolgen fest in Beschlag genommen, währte die Erleichterung nur kurz. Ein wenig Hoffnung flackerte trotzdem auf. Die Gedanken routierten: Ich merkte, auch ich konnte nicht von heute auf morgen umschalten. Ich brauche Zeit. Zeit, Vertrauen zu fassen in die mögliche neue Situation, die sich mir erst noch beweisen muss. Aber auch, hinein zu wachsen in die Rolle, dass ich mich kümmere, auch wenn ich selbst gerade nicht sicher bin. Auch wenn die fehlende Sicherheit nicht das ist, was Amber leider hinein zu interpretieren scheint. Hier hat sich nämlich eine weitere – fürchterliche – Erkenntnis für mich aufgetan: Jahrelang war ich durch meine Ortsunkenntnis gepaart mit der Angst vor Hundebegegnungen wirklich immer mit einem mulmigen Gefühl im Bauch unterwegs. Mein sensibles Hundemädchen muss sich gewundert haben, weshalb ich eigentlich vor allem so fürchterliche Angst habe und hat diese Unsicherheit für viele Situationen übernommen. Wie grausam ist der Gedanke, welch Angstmomente mein unsicheres Vorbild ihr draussen bereiten muss. Dass mein Gezeter auf einen zu nah vorbei rasenden LKW dazu führte, dass sie sich nun bei jedem vorbeifahrenden Laster fast auf den Boden wirft. Dass mein Bedürfnis nach Ruhe, meine Genervtheit und das entsprechende “grr” schon beim Anblick eines anderen Menschen dazu führte, dass sie immer abchecken muss, wer sich da nähert. Und auch wenn ich diese Woche geplagt war von Schuldgefühlen, wie froh bin ich über diese neu gewonnene Einsicht. Wie wichtig ist es nun, ihr zu vermitteln, dass die Welt etwas Tolles ist. Wie wichtig vor allem, dass ich mich stelle. Mich zusammen nehme, die Situation akzeptiere für das, was sie ist, meinem Hund zeige, dass es meine Unzulänglichkeiten sind, mit denen sie sich plagen muss, dass das jedoch der Vergangenheit angehört.

Hier schreien die Zweifel wieder auf. Weil es nämlich Arbeit bedeutet. An mir. Ich mir nicht sicher bin, ob ich das Durchhalten werde. Weil es unbequem werden wird. Weil ich mir Fehler eingestehen muss, obwohl ich doch so gerne perfekt wäre. Weil ich mich immer und immer Momenten stellen muss, von denen ich weiß, dass sie für mich unangenehm werden. Weil ich vielleicht auch einfach Angst habe vor der möglichen Veränderung.

Dennoch – die Verantwortung liegt bei mir. Jetzt, wo ich weiß oder denke zu wissen, was mein heutiges Verhalten mit meiner Hündin anstellt, gibt es eigentlich keine andere Wahl, ohne bewusst in Kauf zu nehmen, dass es ihr andernfalls vielleicht nicht gut geht mit der Situation. Und wer will das schon für seinen Hund?

AmberSchautNachVorne

Um es mir selbst etwas einfacher zu machen, gibt es seit diesem Monat zwei neue Bestandteile in meinem Bullet Journal: Ein Achtsamkeitskästchen für jeden Tag, in das die schönen Momente und kleinen Erfolge eingetragen werden. Eine volle Seite Dogs Diary, in dem alles vermerkt wird, was mir über den Monat vermerkenswert erscheint. So erhoffe ich mir eine Inspiration und einen Mutmacher für die Tage, an denen es vielleicht nicht so gut läuft. Und im Nachhinein vor allem auch die Aufzeichnung eines Weges, auf den ich hoffentlich stolz sein kann.

So dürfen auch die Zweifel und nagenden Gedanken noch mit uns spazieren gehen. Sollen sie doch überlegen, ob mir die Hunde nun zu langweilig werden, wenn sie auf einmal entspannt neben mir gehen und die Leinen durchhängen – merkt ihr denn nicht, wie absurd ihr seid, Gedanken, wenn das genau das ist, was ich mir angeblich immer gewünscht habe? Sollen sie doch überlegen, ob ich mich Konflikten stellen will, meinen Raum einnehmen, für mich einstehen. Feige seid ihr, bequem und wollt es euch einfach machen! Denkt ruhig darüber nach, ob wir denn mit der neuen Situation zurecht kommen werden oder uns lieber im alten Komfortablen einrichten sollen – wir wissen doch noch gar nicht, wie “neu” aussehen wird. We will cross that bridge when we come to it. Lasst euch doch mal ein auf das Abenteuer!

MitLockerenLeinen

Die Hunde und ich gehen so lange raus. Hoffentlich mit durchhängenden Leinen.

Lasst es euch gut gehen!

Sie

4 Replies to “Work it oder warum Training mit dem Hund auch Persönlichkeitsentwicklung ist”

  1. Der saß. Gerade heute habe ich mich darüber geärgert, dass Enki alles im Wald abchecken muss. Rechts, links, oben, unten, die Leine immer auf Spannung. Es war schön im Wald, friedlich, einsam und nur Wild, das uns beäugte und auch Luna in die Leine springen ließ.
    Und nun sitze ich hier mit schmerzenden Schultern und wünschte, ich hätte deinen Artikel 2 Stunden früher gelesen.
    In Gedanken gehe ich diesen Spaziergang durch und frage mich, wer da eingentlich welchen Job gemacht hat.
    Danke, dass du das geteilt hast. Food for thought.
    Herzliche Grüße
    Stephie

    1. Der saß auch bei mir – das Thema hat mich vor und noch nach dem Artikel ziemlich beschäftigt und wird es wahrscheinlich noch eine Weile.
      Auf jetzt erst Recht schulterschmerzfreie Spaziergänge im Wald! Liebe Grüße von uns ??

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