Sein Blick hat mich nicht losgelassen. Wie er da stand, an der Leine des Helfers, und mir verständnislos hinterher blickte, wie Amber und ich auf dem Trail verschwanden. Mein Herz brach und ich gab ihm ein Versprechen.
Ausdrücklich warb Camp Canis damit, dass auch “Handicaps” willkommen seien. Ich überlegte. Bei meinen Trainingsläufen hatte ich Buddy im Freilauf immer dabei. Zuerst noch zögerlich, Blick und Tempo immer auf und nach ihm gerichtet, überraschte er mich schon da. Er entwickelte Muskeln, von denen ich in Jahren des Aufbautrainings nicht hätte träumen können. Er hielt das Tempo, hatte Spaß, war mit Feuereifer dabei.
Im Dezember kaufte ich ihm ein gebrauchtes Zuggeschirr. Zog es ihm zuerst nur für die kurze Abendrunde an. Aufgrund seines fehlenden Hüftgelenks entlastet er beim Laufen die Hinterhand, ich wollte vermeiden, ihn mit dem Zuggeschirr quasi auf selbige zu zwingen. Langsam begannen wir mit Zugtraining – er trug es beim Wandern die ersten hundert Meter, dann zweihundert, dann immer mehr bis er die ganze Wanderung im Zuggeschirr blieb. Die Zugleine blieb allerdings immer locker dabei. Auch zum Joggen durfte er das Geschirr das ein oder andere Mal tragen. Meistens lief er jedoch neben mir, ohne Zug.
Kurz vor der ersehnten Einlösung des Versprechens bei Camp Canis in Hoope ging auf einmal alles schief. Im Januar fing Amber beim Laufen an zu humpeln. Unser Training litt, die gemeinsamen Läufe wurden weniger. Im Februar wurde Buddy immer langsamer, elanloser, wirkte einfach alt. Im März wurde bei mir Asthma diagnostiziert – es sah wirklich nicht aus, als könnten wir mit unserem eigens zusammen getrommelten Team Handicap Hounds starten. Ich war hin und her gerissen, dachte an mein Versprechen, sah in seine Augen, die nun die 8 1/2 Lebensjahre nicht mehr verbargen. Meinem eigenen Urteil traute ich nicht mehr, daher besuchte ich mit ihm die Sportphysiotherapeutin meines Vertrauens. Ließ ihn komplett durchbehandeln, bat sie, mir eine ehrliche Meinung zu geben. Nach der Behandlung dann Erleichterung – “ich wüsste nicht, warum er nicht starten sollte”. Ich tanzte zum Auto zurück.
Freitag abend packten wir unsere Sachen zusammen. Auch wenn wir erst sonntags starten sollten, hatten wir uns mit unserem Teammitglied Christin schon für freitags verabredet, um im Ferienhäuschen mit Kamin ein wenig abzuschalten, Christin bei ihrem Lauf am Samstag anzufeuern und zu unterstützen und vor allem, um die vielen bekannten Gesichter, die auch an Camp Canis teilnehmen würden, wiederzusehen.
Kurz vor der Abreise wurden wir noch gewarnt – beim Freitags-Check-In hatte es für einige Starter wohl Probleme mit dem Nachweis der Grundimmunisierung gegeben. Normalerweise packen wir den katarischen Impfpass nicht mehr ein, um auf Nummer sicher zu gehen, nahmen wir diesmal jedoch das ganze Paket inklusive der Importpapiere mit. Unsere Anreise schob sich immer weiter nach hinten, fix und fertig kamen wir schließlich gegen Mitternacht in Wulsbüttel an, wo Christin, Herbie und Frieda schon auf uns warteten und sogar schon den Kamin angezündet hatten.
Wir bezogen unser winziges Zimmer mit Stockbett und fielen sofort in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen erwartete mich dann der absolute Luxus: Gehöre ich normalerweise selbst zu den Frühaufstehern, konnte ich diesmal ausschlafen, denn Christin hatte bereits die Hunde in den Garten gelassen, das Frühstück vorbereitet und wieder den Kamin angemacht. Mir war gar nicht klar, dass ich das Luxusprogramm gebucht hatte.
Vor dem Frühstück ließ ich es mir jedoch nicht nehmen, auch einmal im Hellen den wundervollen Garten zu erkunden. Amber strahlte vor Glück, sie drehte Runde um Runde, während sich Buddy, Frieda und Herbie mit grasen begnügten.
So schön das Ganze war, beim Gedanken, bei diesen Temperaturen ins eiskalte Wasser zu steigen, grauste es mir.
Nach dem Frühstück machten wir uns fertig und fuhren zum Hoope-Park. Amber ließ ich im Auto um zuerst Buddy für unseren Lauf am nächsten Morgen einzuchecken. Die Tierärztin überprüfte seine Unterlagen – in der Tat auch den ersten katarischen Impfpass – und ließ uns für ein Gangbild ein wenig auf und ab laufen. Da seine Einschränkung beim Laufen sichtbar wird, erwähnte ich sicherheitshalber, dass Buddy als Handicap Hound starten würde. Zuerst schien mir die Ärztin ein wenig skeptisch, dann machte sie mich jedoch zum glücklichsten Menschen dieser Erde: “Er sieht auch toll trainiert aus”. Ein simpler Satz, aber in diesem Umfeld ein ganz besonderes Kompliment. In Physiokreisen erhalten wir häufiger mal ein Lob für Buddy’s Zustand, dennoch gab es auf unserem gemeinsamen Weg schon häufiger die Meinung, dass ich es übertreibe, ihn überfordere, “er das nicht schafft mit seiner Einschränkung”.
Mein eigenes Bauchgefühl sagte mir immer und immer wieder, dass Buddy umso glücklicher war, je aktiver wir unsere gemeinsame Zeit verbringen. Nun aber in seinem Alter die Zulassung für ein Fun-Sport-Event verbunden mit einem Lob zu erhalten, war doch noch einmal eine ganz andere Sache.
So beflügelt wagte ich ein neues Experiment – ich holte Amber aus dem Auto dazu. Wer uns schon länger folgt, weiß, dass die Oberpolizistin zur Randale am Spielfeldrand neigt. Nicht gerade angenehm, vor allem auf einem Hundeevent. Dennoch – wir haben in der Vergangenheit wahnsinnige Fortschritte gemacht. Auch Christins Herbie holte ich zu uns. Mit drei Hunden lief ich übers Gelände und schon bald saßen wir entspannt inmitten einer großen Gruppe Hunde und der zugehörigen Menschen. Herrlich. Und bis vor kurzem unvorstellbar. Auch dafür liebe ich Camp Canis! Keiner urteilt, jeder wird offen aufgenommen und so haben auch frustrationsintolerante Polizistinnen und deren Besitzerinnen die Chance auf einen tollen Tag. Für den Mut, den du aufbringst, bekommst du auch eine Menge Mut zurück.
Zurück am Ferienhaus, durften die Hunde noch einmal nach Herzenslust flitzen, bevor wir uns auf den Weg zum Restaurant machten, wo wir unsere anderen Teammitglieder sowie das Team von Zissi treffen sollten.
Als wir das Restaurant verließen, waren es minus 1 Grad. Während Sandra von Dreipunktecharlie mir die Team-Trikots in die Hand drückte, klapperten meine Zähne. Ich hatte einfach keine Lust mehr, am nächsten Morgen zu starten. So gar keine. Ein schöner Tag auf dem Gelände und ein leckeres Abendessen waren doch eigentlich genug?
Natürlich war eine Absage keine wirkliche Option. Natürlich standen wir am nächsten Morgen auf, zogen die Laufklamotten an, machten die Hunde fertig.
Angekommen am Gelände erwartete uns neben 8 Grad ein eisiger Wind. Dennoch – auf einmal hatte ich Lust zu starten, freute mich auf die bevorstehenden Aufgaben, wollte wissen, was der Veranstalter sich ausgedachtet hatte.
Die Handicap Hounds formierten sich, wir liefen uns warm. Buddy war mit seinen Gedanken überall, nur nicht bei mir. Waren all die Eindrücke zu viel gewesen?
An der Startlinie dann auf einmal die 180-Grad-Wende. Die Moderatoren kündigten uns an, stellten uns vor, und auf einmal war der “Hund ohne Hüftgelenk” voll da. Zum Start schoss er nach vorne, als hätte er nie etwas anderes getan, schnurstracks auf das erste Hindernis zu. Er krabbelte unter den ersten Strohballen, sprang auf den zweiten, krabbelte unter dem dritten durch. Meine Sorgen ließen wir spätestens in der ersten Kurve hinter uns.
An den nächsten Strohballen hatten sie uns wieder eingeholt. Die ersten beiden nahm Buddy noch mit Schwung, beim dritten war es mit dem Springen vorbei. Ballen für Ballen hob ich ihn herauf, kletterte hinterher und wir sprangen hinunter.
Nur im Augenwinkel nahm ich wahr, wie Sandra ihren blinden Charlie dort hinüber lotste. Immer und immer wieder kann ich nichts anderes als Bewunderung für dieses wunderbare Team empfinden.
Herbie und Christin gaben unser Tempo vor. Herbie hat einen Herzfehler, darf jedoch moderaten Ausdauersport machen.
Zuerst ging es einen schmalen Trail hinauf, immer um das Gelände herum. So konnten wir uns beim Laufen über Hänge-, Gitter- und Wackelbrücken schon einmal einen Eindruck davon machen, was uns an Wasser und Matsch noch bevorstehen würde.
Glücklicherweise unterstützte uns nun auch ein wenig Sonne, so dass Buddy gar nicht lange zögerte, als der Weg auf einmal am Einstieg in einen Teich endete. Er schwamm, bevor ich überhaupt nachdenken konnte. Also hinterher – mehr blieb mir ja nicht. Mittendurch. Ein großer Fehler. Tief war das Wasser dort. Und unglaublich kalt. Eiskalt. So kalt, dass ich nicht mehr sprechen konnte, um meine Teamkollegen zu warnen. So kalt, dass ich kurz verstand, wie es sich anfühlen musste, in kaltem Wasser zu ertrinken. So kalt, dass ich kurz an meinen Lungenarzt und seine Warnung vor Lungenentzündung denken musste. Und so kalt, dass es die sowieso schon von den noch viel zu präsenten Überresten einer Erkältung geplagte Sandra so beutelte, dass ich kurz dachte, sie läuft nicht mehr weiter.
Tat sie aber. Während Lelias Lidli, unser Vierter im Bunde, in Seelenruhe beim Ausstieg aus dem Teich noch Äste und Stöcke zur Seite räumte, waren wir froh, das nächste Stück ein wenig laufen zu können, um uns wieder aufzuwärmen.
Der Vorteil des Eisschocks? Alle anderen Wasserhindernisse kamen mir gar nicht mehr kalt vor. Und es waren einige. Buddys persönlicher Traum. Ich habe ihn selten so glücklich gesehen. Er zog, als hätte er nie etwas anderes getan, in moderatem Tempo jedoch, ohne sich zu übernehmen. Jedes Hindernis nahm er mit Begeisterung, er liebt die Herausforderung und das war ihm auch hier anzusehen. Zwischendurch machte mein Herz einen kleinen Hüpfer, als wir die Wasserrutsche nahmen und er sich trotz anfänglicher Angst vertrauensvoll an mich schmiegte. Während Amber beim Lauf im Hunsrück bei der ersten Gelegenheit von meinem Arm gesprungen war, vertraute er mir voll, ja, mehr noch, er schien es richtig zu genießen.
Auf der Wackelbrücke aalte er sich in der vermeintlichen Hängematte und blieb entspannt darin liegen, so dass ich mich kurzzeitig ärgerte, kein Foto machen zu können.
Die Steilhänge stellten kein Problem für ihn da, wenn es ihm wirklich zu steil wurde, stoppte er, blickte mich an und wartete geduldig, dass ich ihm mit dem Geschirr über den schwierigen Teil hinweg helfen würde.
Dann war es soweit: Wir hatten meinen persönlichen Angstgegner, die viel gefürchtete 10m-Rutsche, erreicht. Beim Lauf im Hunsrück hatte ich mich dort ziemlich blöd am Rücken verletzt. Kurz zögerte ich, fragte meine Teamkolleginnen um Rat. Buddy wartete geduldig neben mir, ließ sich ohne zu zögern wieder auf den Arm nehmen und rutschte die vollen 10 Meter auf meinem Arm mit mir hinunter. Ich musste grinsen darüber, wie unterschiedlich meine beiden Rabauken doch waren.
Der letzte Teil wurde noch einmal zur richtigen Schlammschlacht: Auf allen Vieren quälten wir uns Meter für Meter durch einen Graben voll Wasser und Matsch. Buddy hatte schnell verstanden, dass es für ihn einfacher ist, am Zaun entlang zu laufen und mich durch den Matsch kriechen zu lassen. Fast drängte sich der Gedanke auf, dass es ihm richtig Spaß machte, mich dort im Schlamm zu sehen.
Im Ziel warteteten Melanie und das Team mit Siegerbrause, dem Armband Nummer 2 und unserem Finisher-Shirt auf uns. Zu dem Zeitpunkt war mir noch gar nicht bewusst, was wir da gerade geschafft hatten.
Ich fror, spürte meine Knie und die wachsenden blauen Flecken und freute mich auf einen tollen Kaffee. Nach kurzer Zeit auf dem Gelände machten wir uns auf den Weg zurück ins Haus, in dem wir netterweise noch den Nachmittag verbringen durften. Die Hunde wärmten sich vorm Kamin, während wir unsere verdiente heiße Dusche genossen, einen Kaffee tranken und uns an den Resten des Frühstücks stärkten.
Auf dem Rückweg nach Hause kullerten sie schließlich doch – die Tränen des Stolzes darüber, was Buddy Muddy, Charlie, Lidli und Herbie heute geleistet hatten. Der Freude über das Lob der Tierärztin, über die tollen Freunde, von denen wir umgeben waren, über die Leute nah und fern, die an uns glauben und uns unterstützen. Der Erleichterung darüber, dass sich unser Mut bezahlt macht, dass es Buddy gut geht, mit dem Weg, den wir für uns gewählt haben.
Danke, Camp Canis, für wieder ein unvergessliches Erlebnis, für eine tolle Zeit, für das, was ihr auf die Beine stellt, für die wundervollen Leute, die ihr zusammenbringt und vor allem dafür, dass ihr uns immer wieder zeigt, zu was wir eigentlich fähig sind. Wir kommen wieder!
Lasst es euch gut gehen!
Sie
PS: Ein herzliches Dank geht auch an das Team Dreipunktecharlie, das uns mit Fotos versorgte.