Wieder verschoben hatte ich den Traumtrip ins Baltikum. Stattdessen Urlaub in Dänemark gewählt. Doch dann, dann kam das Glück ins Spiel. Eine Dienstreise stand an. Tallinn. An einem Donnerstag. Was lag da näher, als einen Tag Urlaub dran zu hängen und an diesem wenigstens einen Einblick in die Traumlandschaft Estlands zu erhalten? Natur pur im Lahemaa Nationalpark. Da dieser nur eine kurze Autofahrt von Tallinn entfernt liegt, überlegten wir zuerst, uns einen Wagen zu mieten und Teile des ältesten und größten Nationalparks Estlands auf eigene Faust zu erkunden. Unsere Kunden versicherten uns, dass dies problemlos möglich sei. Routen und Beschreibungen sind im Internet einige zu finden.

Dennoch – irgendwie stand uns der Sinn nach Erleben ohne selbst zu fahren, nach kleiner Tour, maßgeschneidert auf uns, unsere Bedürfnisse und Interessen. Wir suchten ein wenig herum und wurden schließlich auf einer der offiziellen Seiten Estlands fündig: Tagesausflug “Verlassenes und wiedergefundenes Lahemaa”. Sofort erschienen Bilder von verlassenen Häusern, wildem Bewuchs und Verfall vor meinem geistigen Auge – etwas, das mich sehr fasziniert. Wir kontaktierten den Guide und vereinbarten, dass er uns am freien Tag früh morgens am Hotel abholen würde.

Gesagt, getan. Zögerlich begrüßte er uns, was daran lag, dass wir nicht in dem Outfit erschienen waren, in dem er uns für einen solchen Ausflug bei angesagten Temperaturen um die 0 Grad und Schneeregen erwartet hatte. Outdoor, Business und Handgepäck lassen sich jedoch schlecht vereinen, und so hatten wir versucht, das Beste aus zwei Welten für den Ausflug zu kombinieren und das Missverständnis schnell aufgelöst. Noch vor Sonnenaufgang machten wir uns auf den Weg raus aus der Stadt zu unserem ersten Stopp. Bereits hier hatte Tarmo – unser Guide – einige lustige und interessante Fakten zu berichten, die mir vor Augen führten, dass die “Soviet Times” gar nicht so weit zurück liegen, wie sich das für mich anfühlt.

Jägala Juga

Pünktlich zu etwas freundlicherem Licht erreichen wir unser erstes Ziel, den Jägala Juga, den größten natürlichsten Wasserfall Estlands. Durch den trockenen Sommer war er auf die Hälfte seiner ursprünglichen Größe geschrumpft. Konzentriert auf meine Aufnahmen, bekam ich zuerst gar nicht mit, dass ich eigentlich bereits durch das Flußbett lief und die im Boden versteckten Fossilien mit Füßen trat.

Steinsarggräber Hundikangrud

Mit aufkommendem Nieselregen breitete sich leichte Enttäuschung aus. Unsere erste Station, die Steinsarggräber Hundikangrud, nahmen wir daher auch nur halbherzig war. Wie Falschgeld standen wir bei eisigen Temperaturen an der Ausgrabungsstätte und wussten nicht genau, was wir mit den Informationen des Guides anfangen sollten.

Hara U-Boot Station

Relativ schnell stiegen wir wieder ins Auto und machten uns auf den Weg zum nächsten Stopp – eine verlassene, verfallene, ehemals sowjetische U-Boot-Station. Noch zuhause waren wir der Meinung, dass uns die nicht besonders interessieren würde, ich wurde jedoch schnell eines besseren belehrt. Erst vor Ort habe ich wirklich verstanden, wie eng solche Orte mit der Geschichte des Landes verwoben sind.

Mittlerweile kostet der Eintritt zur Ruine 5 Euro. Leider war die Station jedoch geschlossen, so dass wir nur einen kurzen Ausblick auf die absurde Schönheit eines ehemals geheimen Ortes, von dem unser Guide nicht genau wusste, was dort zu aktiven Zeiten eigentlich passiert war, erhaschen konnten. Zu gerne wäre ich zu den fantastischen Geschichten geheimer U-Boot-Experimente noch ein wenig durch die verfallene Ruine geklettert, um mir die dort nun überall hinterlassenen Graffiti genauer anzuschauen. Tarmo war jedoch nicht wohl bei der Sache, er fand die Ruine zu gefährlich und so kam ihm der einsetzende Regen gerade recht, um uns wieder zurück zum Auto zu scheuchen.

Weiter ging es dann zum nördlichsten Punkt des estnischen Festlandes. Bei dem hier zu besichtigenden Gebäude handelte es sich die ehemals ertragreichste Fischfarm des Landes. Auch hier verströmten die verfallenen Bauten, zusammen mit der rauen See und dem Graffiti am benachbarten Wachturm einen besonderen Charme und ich hakte zur Sicherheit bereits nach, ob ich auch an solchen Orten meine Rabauken wirklich frei laufen lassen könnte, wenn wir zusammen nochmal wieder kämen.

Fischfarm

Weiter auf dem Weg durch den Park stoppten wir noch kurz am ebenfalls in einer Fischfabrik beheimateten Kunstmuseum des benachbarten Örtchens Viinistu, allerdings waren wir zu sehr eingestellt auf Natur, um uns hier umzusehen.

Auf der Weiterfahrt berichtete Tarmo, der häufig auch Erasmus-Studenten durch den Park begleitet, uns von der Herausforderung, die Umgebung für Touristen interessanter zu machen, ohne gleichzeitig die empfindliche Natur zu zerstören.

Durch unsere Nachfragen war mittlerweile klar geworden, dass unser Hauptinteresse auch ebendieser galt, so dass Tarmo die Tour flexibel unseren Interessen anpasste. Der Turm zur Vogelbeobachtung wurde somit schnell wieder verlassen – ohne entsprechendes Equipment ließ sich dort nicht allzu viel erkennen – und wir machten uns auf den Weg zum nächsten Wasserfall.

Nõmmeveski

Die Größe des Wasserfalls lässt sich nicht mit der des Jägala Juga vergleichen, dennoch hat unser kurzer Abstecher an diesen Ort Spaß gemacht. Zum einen zeigte sich endlich ein wenig Sonne und brachte die noch an den Bäumen hängenden Regentropfen zum Glitzern, zum anderen hielt Tarmo auch hier wieder eine kleine Geschichte bereit. Läuft man ein paar Meter am Wasserfall vorbei, entdeckt man die verfallene Zuleitung zur ehemaligen Wassermühle. Tarmo erzählte uns, dass diese ursprüngliche eine riesige Turbine enthielt, die von einem Tag auf den nächsten ausgebaut und verschwunden war. In einer Nacht- und Nebelaktion gestohlen. Wie das Ganze funktioniert haben soll, konnte sich keiner von uns erklären, die Geschichte machte den sowieso schon magischen Ort jedoch noch ein kleines bisschen magischer.

Am anliegenden Picknickplatz stolperten wir dann noch über etwas, von dem ich gelesen hatte und was ich unbedingt ausprobieren musste: Angeblich schaukeln die Esten für ihr Leben gern. Tatsächlich haben wir auf der weiteren Tour noch einige dieser hölzernen Schaukeln entdeckt. Spaß gemacht hat es auch, an einen Überschlag habe ich mich trotzdem nicht getraut.

Zur Mittagspause hielten wir an einer Art Scheune, vor der einige Holzpferde standen und aßen dort ein deftiges Mittagessen, bevor wir uns auf den Weg zum nächsten Highlight der Tour machten: Das Viru Hochmoor. Die Stege, die übers Moor führten, hatte ich schon auf einigen Fotos gesehen und nach dem herzhaften Mahl konnten wir eine kleine Wanderung gut gebrauchen.

Das Viru Hochmoor

Tarmo parkte das Auto an einem von der Hauptstraße leicht zugänglichen Parkplatz. Das Wetter meinte es gut mit uns und zeigte ein wenig Sonnenschein. Auf dem Weg zur Aussichtsplattform, die sogar mit dem Rollstuhl zugänglich ist, erklärte uns Tarmo, wie das Moor entsteht, sprach von den Horrorgeschichten, die dazu erzählt werden und von fleischfressenden Pflanzen. Als wir in den Little Shop of Horrors abdrifteten und schon fast ein Lied angestimmt hätten, entschlossen wir, dass es nun Zeit sei, zu schweigen und die Natur zu geniessen.

Zu gern hätte ich diesen Anblick mit meinen Rabauken genossen und wäre noch endlos weiter gewandert. Leider machte sich nach der kurzen Runde jedoch unsere nicht für die herrschenden Temperaturen geeignete Garderobe bemerkbar – wir froren und die im Auto zurück gelegten Strecken reichten nicht mehr aus, um uns aufzuwärmen. Wir entschieden daher, uns über das Fischerdorf Altja auf den Weg zum versprochenen Leuchtturm zu machen und dann die Tour mit einem Abstecher ins Kreativzentrum Telliskivi in Tallinn zu beenden.

So hat der Tag einen perfekten Abschluss gefunden. Noch ganz beeindruckt vom Nationalpark haben wir uns in einen der Pop-Up-Stores gesetzt und dort einen Kaffee genossen. Entspannt haben wir uns durch die Läden und Geschäfte treiben lassen, uns Design-Inspirationen geholt und nach Mitbringseln gesucht. Im Schokoladenladen haben wir uns mit Weihnachtsgeschenken eingedeckt, die Markthalle erkundet und dann, ganz kurz vor Ladenschluss, fand ich den Laden, auf den ich eigentlich gehofft hatte: Nuf Nuf, deren Hundezubehör ich schon das ein oder andere Mal auf Social Media gesehen hatte. Nachdem beide meiner Rabauken im November ihren Geburtstag feiern, war das die Gelegenheit, dort einen kleinen Einkauf zu tätigen. Als Geschenk gaben sie mir noch ein paar Leckerli mit, die zuhause ein kleines bisschen besser ankamen, als die Spieltiere.

Estland, du hast einen festen Platz in meinem Herzen, und auch wenn ich es auf meinem Baltikum-Trip dieses Jahr aufgrund meiner eigenen Fehlplanung wieder nicht schaffen werde, dir gemeinsam mit meinen Rabauken einen Besuch abzustatten – irgendwann schaffen wir das!

Lasst es euch gut gehen.

Sie

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert