Auf dem Boden des Miniparks, zu dem wir die Abendrunde gehen, liegen rosa Blüten. Zwischen Holzspänen und gedornten Büschen stehen Pilze. “Alice im Wunderland” denke ich. Fröhliches Lachen schallt vom benachbarten Riesengrundstück herüber. Zu meiner Rechten laufen die beiden Rabauken, perfekt eingespielt, die Abendroutine fest verankert, sie wissen genau, was kommt.
Zu meiner Linken hüpft das wuselige Zappeltier. Der Neue. Der Hibbelhund. Aus Andalusien angereist, haben wir ihn vor ein paar Tagen aus Berlin abgeholt. Sein rechtes Vorderbein ist gebrochen, wurde vor Ort mit einer Platte versorgt. Richtig heil ist es nicht. In Kombination mit seiner Aufregung und schnellen Reizbarkeit wusste ich bereits beim ersten Lesen der Beschreibung, was ihn für ein Leben erwarten könnte.
You pulled my heartstrings
Ehrlich war sie. So ehrlich, dass ich später beim Vorlesen mehrmals gefragt wurde, warum man sich so einen Hund nimmt. Alles an der Geschichte erinnerte mich an Buddy.
Als ich ihn damals das erste Mal gesehen hatte in der Wüste auf Social Media. Der Traum einer jeden Werbefirma. Blondes Labradorbaby mit Süßaugen. Die Einstichstellen der Nadeln am rechten Vorderbein von den Operationen nach seinem Autounfall sah nur, wer sich seinem Blick entziehen konnte. Die operierte Seite war auf dem Bild nicht zu erkennen.
Tagelang rief ich damals das Foto auf, wieder und wieder las ich den Text. Genau so ging es mir mit Ben. Tagelang öffnete ich morgens als erstes den Account, auf dem ich ihn gesehen hatte, vorm Schlafen gehen wagte ich noch einen weiteren Blick.
Damals auf Heimaturlaub sprach ich mit meiner Mama. Erzählte ihr von Buddy. Rief nach meiner Rückkehr nach Katar bei der Pflegestelle an. Wir vereinbarten einen Termin.
Might as well jump
Schon damals sprang Buddy mir bei unserem ersten Treffen direkt in die Arme. Zog mich anschließend wie ein wildgewordener Ochse an der Leine in die Tierarztpraxis, wo mir die Ärzte von seiner OP erzählten. Mir aufmalten, was das hieß. Kein Hüftgelenk.
Von seiner Hibbeligkeit erzählte mir keiner. Die ersten Tage mit ihm waren die Hölle.
Zum einen vermisste ich meinen alten Hund. Nie werde ich den Moment vergessen, in dem ich aus meinem Bett blickte, dorthin, wo Buddy selig am Boden schlummerte und dachte “ich will Faro zurück”.
Zum anderen war nichts möglich. Wollte ich ihm das Halsband anziehen, wand er sich, sprang herum, pinkelte unter sich. Verlor ich die Geduld, rastete er aus und rannte im vollen Galopp über die Sofalehne. Anschließend wälzte er sich vor Schmerzen schreiend auf der operierten Hüfte.
Raketenelefant im Porzellanladen
Sie hatten ihm Boxenruhe und kurze Spaziergänge verordnet. Öffnete ich die Boxentür, raste er den Katzen hinterher durchs Erdgeschoss.
An Leinenführigkeit war nicht zu denken. Er riss so wild an mir herum, dass ich Spritzen in die Schulter erhielt und bei über 40 Grad einen Roboterarm voller Bandagen spazieren führen durfte.
Meiner Mutter zerriss er beim ersten Kennenlernen die Bluse, den meisten Menschen trampelt er bei der Begrüßung auch heute noch ungelenk auf den Füßen herum.
Als wir zurück in Deutschland in einer tollen Physiopraxis mit Schwimmen begannen, raste er nach der Stunde voller Adrenalin die Rampe hinunter und donnerte mir beim Abtrocknen seinen Schädel so fest an meinen, dass ich mit einer Gehirnerschütterung zu Boden sackte.
Frustrationstoleranz für Hundehalter
Ich kann nicht zählen, aus wie vielen Trainingsstunden ich wahlweise heulend oder zeternd hinaus rannte, weil er nicht ansprechbar war, zog und zerrte und sich aufführte, wie es sich in einer ordentlichen Trainingsstunde nun einmal nicht gehört.
Ich fühlte mich machtlos. Unverstanden. Aber: Ich lernte. Sah hin. Begann, ihn zu beobachten. Zu verstehen, was in ihm genau diese Aufregung auslöste. Liebte ihn von Beginn an abgöttisch für das, was er geben konnte in all der Zeit, in der er nicht aufgeregt war. Wir fanden unseren Weg.
Noch heute gibt es zwei Lager: Die, denen er total auf den Keks geht. Die ihn für unerzogen halten, genervt sind von seiner unkoordinierten Distanzlosigkeit. Und die, die hinschauen. Ihn und sein sensibles Wesen erkennen. Ruhig mit ihm bleiben, ihm zeigen, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt, während er geschickt deren Herz direkt aus ihrem Brustkorb um seine Pfote wickelt.
Als ich das erste Mal von Ben las (der damals übrigens noch Bunny hieß – selbst die Namensähnlichkeit ließ mich lächeln), war mein erster Gedanke “das wird ein Wanderpokal”. Ich stellte mir vor, wie viele Menschen es gäbe, die erst einen ebenso mühevollen Weg gehen müssten, um mit einer solchen Aufregung umgehen zu können, wie wir ihn gegangen sind. Sah seine Schönheit, sein Potential. Und die Gefahr darin.
Look, how cute he is!
Auch in Katar waren sie immer begeistert gewesen vom süßen blonden Labrador. Bis sie von meinen ständigen Ausflügen zum Tierarzt erfuhren, dem mühevollen Ausprobieren, was ihm wohl helfen könnte.
Als Bens Pflegestelle schrieb, dass der Bruch trotz Platte noch nicht verheilt sei und Ben nun humpelte, hielt ich es nicht mehr aus. Ich schrieb sie an und fragte sie, wie es ihm ginge.
Eines führte zum anderen und wir verabredeten uns zum Telefonat. Alles, was sie mir erzählte, klang vertraut. Ein dritter Hund stand schon lange im Raum, so sehr wünschte ich mir, dass meine beiden noch etwas von ihrem tollen Charakter würden abfärben können bevor sie gehen müssen. Dass sie die Zeit genießen könnten mit dem Neuling ohne aufgrund zu großer körperlicher Beschwerden unter seiner Ankunft zu leiden.
Keinen Ersatz wollte ich, aber einen, der die besten Eigenschaften der beiden in seinen Anlagen vereinte. Selbst das war mit Ben gegeben.
Wir entschieden uns für ein Kennenlernen. Beim Spaziergang zeigte er sich vorbildlich, wenig aufgeregt, eher wenig geduldig. Amber versuchte das ein oder andere Mal, ihn zum Spielen zu animieren, Buddy ließ ihn entspannt links liegen und widmete sich interessanteren Dingen im riesigen Hundepark.
Schalk im Nacken
Wir waren begeistert.
Bis wir ihn zuhause kennenlernten.
Es war wie Jekyll und Hyde. Aus dem fröhlich aufgeregten Junghund war ein nerviges Etwas geworden. Er knappte in meine Hände, ließ sich kaum davon abbringen. Er bellte Buddy und Amber an, zog an der Tischdecke und riss dabei die Gläser vom Tisch.
Trotz sehr geduldiger Pflegestelle ließ er sich nicht zur Ruhe bringen. Aber: Er blieb ansprechbar, reagierte auf jedes Nein. Selbst als der Schalk ihm gar lustig im Nacken ritt, versuchte er noch zu verstehen, was von ihm erwartet wurde.
Ich legte die Hand für ihn ins Feuer und warf einiges in die Waagschale. Wir nahmen ihn mit nach Hause. Bereits am ersten Abend funktionierte es zwischen uns. Trotz der langen Fahrt schlief er auf dem Teppich des Schlafzimmers, seine Aufregung kochte zwar das ein oder andere Mal hoch, ließ sich aber genau so schnell wieder von irgendwo im Himmel auf die Fliesen unseres kleinen Häuschens zurück holen.
Amber findet ihn und seine überbordene Energie anstrengend und überflüssig.
Buddy hingegen hat in dem kleinen Kerl ein Miniaturebenbild gefunden. Für Ben ist er der große Held, der weiß, wie die Welt funktioniert. Zu ihm schaut er auf, was der Große macht, ahmt der Kleine eifrig nach.
The Great Grandmaster of Hibbeligkeit
Buddy hingegen erlebt gefühlt einen Frühling. Er wird albern, hibbeliger, hinterfragt unsere Regeln und unser Zusammenleben. Für Kuschelei mit mir bleibt keine Zeit. Die Nächte verbringt er alleine im Wohnzimmer, während wir anderen oben schlafen. Die Physioübungen? Kann doch der Kleine machen!
Stattdessen auf die Couch springen, Spielzeuge umher werfen, Leine zerren, Kräfte messen mit dem Mini-Me? Her damit! Auf jeden Fall!
Benedikt Arthur Fleck
Und Ben A. Fleck? Er macht sich weiterhin toll. Im Haus bleibt er die meiste Zeit entspannt, fährt er nach oben, bleibt er dennoch ansprechbar und beruhigt sich schnell wieder. Er ist gelehrig und liebt seine Spielzeuge. Aufgrund seiner Veranlagung wird ihm jedoch auch superschnell langweilig.
Da das Bein jedoch noch immer nicht geheilt ist und bei übermäßiger Belastung anschwillt, sind keine großen Touren drin und so meine Kreativität gefragt.
Falls uns jemand unzerstörbares Beschäftigungsspielzeug empfehlen kann – ich bin ganz Ohr!
He’s a hunter
Draußen sieht die Sache jedoch noch ganz anders aus. Er hüpft und springt und verliert – auch ganz gemäß seiner Anlagen – bei Federvieh jeglicher Größe völlig die Nerven. Könnte er, wie er wollte, würde er hier einen fantastischen Job abliefern, der jedes Jägerherz höher schlagen ließe.
Um das zu unterstützen und hier von Beginn an möglichst wenig falsch zu machen, habe ich mir einen Jagdhunde-Coach an die Seite geholt. Mein Ziel und Traum ist es nämlich, dem jungen Kerl ein Leben zu ermöglichen, in dem er das tut, was er am besten kann – seine Anlagen nutzen und meinen Freund im Revier unterstützen.
Bis es soweit ist, sortieren wir jedoch erst einmal sein Kindsköpfchen und genießen die Zeit mit dem kleinen Lord mit der königlichen Nina-Hagen-Gedächtnisfrisur.
Lasst es euch gut gehen
Kerstin mit Buddy, Amber und Ben