Es brüllte hinter mir her. War ich doch extra schneller gegangen, um dem Ganzen im morgendlichen Streß vorm Büro auszuweichen, machte es Buddys Verdauungsapparat unmöglich, nicht stehen zu bleiben, weiter zu laufen, aus dem Weg zu gehen. Von weitem ertönten Trainingstipps, gepaart mit deftigen Anschuldigungen und schließlich gekrönt von einem wütenden Wortgefecht.
Ich war verwirrt – “es geht immer nur um dich” lautete einer der unzähligen Vorwürfe zu meiner Hundeerziehung, der Vermeidung von Begegnungen und nicht zuletzt meinem Umgangston. Ich gestehe, letzteren habe ich in der Vergangenheit des Öfteren vergessen, wenn wieder mal ein freilaufendes Tier zwischen uns, den mitgebrachten Streß und unsere Leinen geriet. Allerdings mochte ich mich so selbst nicht leiden und habe sehr daran gearbeitet.
Aber es geht immer nur um mich? Um wen denn sonst? Mein Morgen, meine Spazierrunden, meine Entspannung, meine Hunde und meine Individualdistanz.
Ich stellte die Frage in der Community. Wollte andere Sichtweisen kennenlernen, verstehen, warum es so schwierig ist für andere, wenn ich ausweiche, mich nicht einlasse auf Begegnungen mit ihnen und ihren Hunden. Bewusst ließ ich das unschöne Zusammentreffen und den folgenden Wortwechsel aus. Ermunterte diejenigen, mir zu erklären, wie sie denken, die mein Verhalten albern finden.
Zuerst bekam ich vor allem Zuspruch. Viele beschrieben, wie schwierig freilaufende Hunde für sie seien, wie wenig Lust sie auf andere Hundehalter hätten.
Wie schade. Aber: Mir geht es momentan genauso. Weil es mich unter Streß setzt. Weil ich dann meine Hunde nicht mehr gelassen weiter führen kann, weil sie neugierig sind auf die anderen, vielleicht auch kontrollieren, auf jeden Fall reagieren. Und dann? Ich fühle mich, als habe ich den Moment verpasst, in dem ich sie einfach ableinen könnte. Ein wenig vielleicht auch, als hätte ich genau deshalb versagt. Jahrelang bin ich diese Strecke unter höchstem Streß gelaufen. Habe gezittert, getobt, gegen Wut und Angst vor Kontrollverlust und potentiellen schlimmen Zusammentreffen gekämpft.
Für uns als Team ist es ein Riesenerfolg, überhaupt dort lang gehen zu können ohne all diese Reaktionen. Natürlich sind die beiden noch aufgeregt, es ist ja auch noch nicht lang, dass ich es nicht mehr bin.
Entsprechend befreit bin ich die ganze letzte Zeit durch die Gegend marschiert. Training hat mir wieder Spaß gemacht, am Horizont keimte sie auf, die rosa Wolke vom Spaziergang mit Hunden ganz ohne blödes Gefühl im Bauch. Denn das ist, was ich mir noch immer wünsche. Auch mir macht es keinen Spaß, meine Hunde erst einmal an der Leine zu lassen, anderen auszuweichen, aus dem Weg zu gehen, wütend zu werden. Liebend gern wäre ich nicht im Ort bekannt als die, die immer wegrennt, sondern lieber die, die alle kennt, weil ihre Hunde so problemlos in Hundebegegnungen sind.
Nicht umsonst bin ich lange Zeit lieber mit Buddy alleine spazieren gegangen, konnte ich dann doch die sein, die ich insgeheim sein wollte: Schnell und problemlos in Kontakt gekommen mit Interessierten, am Rande der Hundewiese lächelnd und entspannt, hatte ich doch schließlich ihn: einen freundlichen Labrador an der Leine und im Freilauf, fröhlich, stürmisch, immer eher am Besitzer und dessen Leckerli-Tasche als am zugehörigen Hund interessiert. Ein Magnet fürs Kennenlernen anderer Menschen.
Amber ist kompetent mit anderen Hunden. Sehr sogar. Vielleicht sogar mehr als Buddy. Aber: Sie murrt zur Begrüßung, kommuniziert, ist laut, manchmal unbequem, äußert sich. Das gibt das ein oder andere Mal Stress, vor allem mit Hündinnen, die ähnlich gestrickt sind.
Einfach so laufen lassen kann ich sie aber aus einem ganz anderen Grund nicht: Sie jagt und vergisst vor lauter Glück über den Freilauf und das Flitzen alles um sich herum. Die Wege, die Jogger, die kleinen Kinder, die Radfahrer, ja, auch die Straße, die nicht allzu weit weg ist von der viel frequentierten Hundestrecke.
Kennt ihr dieses unwohle Gefühl im Bauch, das einen ereilt, wenn man denkt, es könnte gleich etwas passieren? Wie in der Achterbahn kurz vor dem Looping? Genau das wurde im Windhundmixpaket gratis für mich mitgeliefert. Ihr Tempo und ihr Radius bewegen sich weit außerhalb meiner Komfortzone. Sie scheint eine magische Kombination aus Speed und Ohrenversiegelung zu besitzen, wahrscheinlich hat dies etwas mit Windschnittigkeit zu tun. Für mein Seelenheil und ihre Sicherheit bedeutet das vor allem eins: Nichts mit der Leinenfreiheit. Zumindest nicht unkompliziert. Und nicht überall.
Dennoch – ein bisschen fehlt es mir. Das sorglose Klicken der Karabiner, das Beieinander-Stehen und verliebt den eigenen Hund anblicken, der ja doch immer noch ein wenig toller ist als die anderen.
Toll sind sie nämlich. Beide. Etwas ganz besonderes. Auch wenn das schwierig ist zu erkennen, wenn sie tosend in der Leine hängen.
Leicht war es nicht, sich von der Leichtigkeit der Traumsituation zu verabschieden und den Moment als die Herausforderung zu akzeptieren, die er nun mal ist, oder besser: zu der ich ihn gemacht habe.
Glücklicherweise haben sich in der Community auch einige gemeldet, die mit meinen Ausweichmanövern nichts anfangen konnten. Besonders ein Kommentar hat mich zum Nachdenken angeregt:
Zu meinen, die Welt sei perfekt – und zwar genau dann, wenn sie genau so funktioniert, wie man selbst das erwartet und nach den Regeln, die man selbst aufstellt – das ist kindisch und auch etwas narzistisch.
Ein Kommentar zu meinem Beitrag in der Community
Ertappt. So viel wir auch schon geändert und an uns gearbeitet haben, so sehr ließ ich mir den Tag verderben durch meine verlorene Traumsituation und damit verbunden durch das, was andere wohl möglicherweise von mir denken könnten. In Erwartung ihrer schlechten Laune dank unserer Leinenpöbelei und potentiellen Äußerungen über meine gedachte Unfähigkeit reagierte ich im Vornherein genau darauf. Kennt ihr die Geschichte mit dem geliehenen Hammer? Anstatt auf mich zukommen zu lassen, was auch immer passieren mag und dann souverän zu handeln, wich ich aus oder polterte von vornherein los, bevor überhaupt etwas passiert war. Brachte meinen beiden genau das Gegenteil von dem bei, was ich mir eigentlich wünschte: Anstatt offen und neugierig auf andere zuzugehen, warnten sie mich schon von weitem vor der potentiellen Annäherung eines jeden Menschen und Tieres.
Während ich sonst in meinem Leben wenig Wert auf die Meinung anderer lege, warte ich bei meinen beiden Rabauken interessanterweise ständig auf Bestätigung von außen. Kann ich in beruflichem und privatem Umfeld jederzeit mutig sein, Souveränität abrufen, selbstbewusst auftreten, so habe ich bei meinen beiden manchmal das Gefühl, als hätte ich keinerlei Kontrolle über die Situation. Aus Angst, die Kontrolle zu verlieren, reguliere ich ständig und pausenlos, lasse wenig passieren und kann mich schwer entspannen. Traue mir selbst nicht zu, abzuwarten und einfach angemessen zu reagieren. Wenn ich mir nicht selbst vertraue, wie sollen die beiden es dann tun?
In der Vergangenheit fühlte ich mich häufig völlig überfordert mit den Rabauken. Hatte mich übernommen mit zwei völlig unterschiedlichen Charakteren und dem, was ich mir selbst auf die To Do-Liste gepackt hatte. Wünschte mir verzweifelt immer und immer wieder Unterstützung anderer, jemanden, der mir die Verantwortung zumindest kurzzeitig abnehmen könnte. Jemanden, der mir zeigt, wie “das” geht, wie man das macht mit Hundebegegnungen mit zweien, wenn es unmöglich ist vor Gezerre und Gezeter noch zu kommunizieren. Zu Rate gezogene Hundetrainer ließen mich hilflos im Regen stehen. Bescheinigten meinen Hunden wahlweise Aggression und ewigen Leinenzwang oder waren entsetzt über mein und deren Verhalten.
Meine Gedanken drehten sich im Kreis, ich hinkte den Ereignissen hinterher, vergaß völlig, dass ich die Verantwortung Tag für Tag hier und jetzt trug. Übersah, was ich meinen beiden zeigte, beibrachte, von der Welt mitgab. Im Guten wie im Schlechten. War ständig mit mir selbst beschäftigt, mit dem, was ich noch ändern musste, um hinein zu passen in mein Umfeld, ohne mir dabei etwas Gutes zu tun.
Vielleicht steckt ein wahrer Kern in der Anschuldigung, vielleicht hat sie recht. Es geht immer nur um mich. Und das ist heute auch wichtig. Weil ich so lange versucht habe, irgendwie alles zu geben für einen behinderten Buddy, bis ich selbst völlig mit den Kräften am Ende war. Weil ich ständig über meine eigenen Grenzen gegangen bin, im Versuch, mit beiden das zu tun, von dem ich dachte, dass es andere von mir erwarten. Nie darauf geachtet habe, die völlig leer gebrannten Energiespeicher irgendwie wieder zu füllen. Nicht auf das geschaut habe, was die beiden wirklich von mir brauchten. Das habe ich erst in den letzten beiden Jahren gelernt.
Stattdessen eröffneten sich ständig neue Aufgaben, ständig kam etwas neues hinzu. Buddy braucht das, Amber braucht jenes. Und was brauche ich?
Was dadurch verloren ging, das war die Freude. Die Freude an Zeit zusammen, die Freude an dem, was wir hatten und was die Welt uns bot.
In den letzten Monaten kam genau diese Freude zurück. Im Kleinen, wenn ich nicht mehr ganz so nervös und Amber etwas ruhiger wurde bei Hundebegegnungen, beim Laufen, wenn wir beide einfach frei und glücklich waren, in den Momenten, in denen sie plötzlich albern durch die Gegend sprang und mich zum Spielen aufforderte und ganz besonders dann, wenn sie zum Kuscheln kam.
Wenn Buddy mit zum Joggen konnte und Spaß daran hatte, ohne, dass er am nächsten Tag zu humpeln begann.
Das Laufen wurde uns gerade genommen. Glaubt mir, auch wenn ich versucht habe, es von der lustigen Seite zu beleuchten, zum Lachen ist mir nicht. Ungern möchte ich es loslassen, dieses wertvolle Puzzleteil zur gemeinsamen schönen Zeit, schon gar nicht wollte ich es tauschen gegen eine neue Aufgabe, eine weitere Verantwortung, ein weiteres To-Do.
Aber hier komme ich zurück zum Kommentar: Das Leben ist kein Ponyhof. So wenig ich diese Umstände beeinflussen kann, so wenig nützt es, wenn ich mich davon runter ziehen lasse. Das gleiche gilt auch für die morgendlichen Begegnungen. Zu wertvoll ist die Zeit, die wir miteinander haben, um sie von Dingen verderben zu lassen, die wir nicht kontrollieren können.
Stolz bin ich darauf, dass ich klarer bin in dem, was wir brauchen. Als Team. Dass ich meine Grenze setzen konnte, nicht eingeknickt bin, für das eingestanden habe, was wir bis heute erreicht haben und was mir wichtig ist. Dass ich kommuniziere, manchmal laut, manchmal unbequem. Danke, Amber. Und dennoch etwas anderes lernen durfte, und das vor allem durch die Kommentare derer, die anders denken als ich.
So gesehen hat mich das Ganze nun doch weiter gebracht, auch wenn es mich dafür erst ein paar Tage beschäftigen musste. Geflüchtet bin ich nicht mehr, auf unseren Abstand habe ich dennoch bestanden. Was wir nämlich momentan am meisten brauchen ist Raum für uns. Der uns dann – frisch gefestigt – hoffentlich bald wieder etwas näher an andere bringt.
Lasst es euch gut gehen.
Sie