Auf einmal war sie da, die Gelegenheit, von der ich geträumt hatte. Die Hundephysio in der alten Heimat suchte Verstärkung. Schon lange war ich hin und her gerissen, wieder zurückzukehren ins Altbekannte, zurück an den bayerischen Untermain. So richtig daheim fühlte ich mich auch da nicht, hatte ich schließlich schon vor mehr als zwanzig Jahren meine Zelte dort abgebrochen, dennoch. Irgendwie zog es mich dort hin, ich vermisste die Gegend, das Essen, das Bayerische. Kam auch nach so langer Zeit nicht wirklich an im Kölner Umland, hatte immer etwas zu meckern und auszusetzen. Zu laut, zu voll, zu weit, zu Stau, zu wenig, zu Viele.

Ganz schön doof wäre es also gewesen, die Chance nicht zu ergreifen, die ich mir gedanklich quasi selbst so bestellt hatte. Bevor ich auch nur auf die Idee kam, zu zögern, schrieb ich eine Nachricht, erklärte die Situation, erklärte, weshalb die Post aus der Ferne. Sie antwortete prompt und wir vereinbarten einen Termin für ein Telefonat.

Am nächsten Morgen ging ich mit den Rabauken in den Wald. Schaute zu, wie sie auf unserer vertrauten Ausweichstrecke herum flitzten. Ein wenig ziepte es im Herzen. Sollten wir hier bald nicht mehr laufen können? Uns im Frühling nicht mehr auf die Jagd nach Sonnenaufgängen machen? Würden wir neue Strecken finden, da, wo wir dann wohnen? Und überhaupt – wohnen. Würden wir wieder eine schöne Wohnung finden? Einen Vermieter, der unser wildes Vorhaben unterstützt, uns zutraut, etwas aufzubauen, nur auf Basis eines Teilzeitvertrages nach Job- und Branchenwechsel?

Veränderungen machen mir keine Angst, so viele habe ich schon hinter mich gebracht. Im alten, vertrauten Umfeld wird mir schnell langweilig. Das konnte es also nicht sein. Umso komischer erschienen mir meine eigenen Gedanken. Schnell schob ich sie beiseite, machte mich fertig und fuhr ins Büro. Richtig konzentrieren konnte ich  mich nicht.

Am nächsten Tag bereitete ich meine Unterlagen vor und setzte mich an meine Vorstellung. Sie zu schreiben fiel mir nicht schwer, dennoch, mit jedem Wort wuchs der dicke Kloß in meinem Bauch. Ich entschloss mich, ihn zu ignorieren, es zu wagen, den Weg zu gehen, den ich mir so lange gewünscht hatte. Schickte die Bewerbungsunterlagen los und meiner Schwester eine verwirrte Sprachnachricht. Wieso sträubte sich auf einmal alles in mir? Warum nur hatte ich das Gefühl, ich verliere anstatt zu gewinnen?

Ich schob die Verwirrung beiseite, beschloss, mir die Praxis beim sowieso anstehenden Besuch am Wochenende einfach einmal anzuschauen.

Die Umgebung gefiel mir gut. Bereits auf dem Weg dorthin sang Buddy in Vorfreude im Auto. Auch meine beste Freundin, die mich begleitete, war aufgeregt. Die Praxis machte einen guten Eindruck. Genau konnten wir nicht schauen, fand doch gerade ein Seminar in den Räumen statt. Wir fuhren schnell weiter. Ein bisschen kam ich mir vor wie früher, als ich mehrmals täglich “unauffällig” an der Tür meines Schwarms vorbei gelaufen war.

Kaum hatten wir die Straße verlassen, saß ein alter Bekannter mit im Auto. Das doofe Bauchgefühl war wieder zurück. Wann das passiert war, wie es die Tür geöffnet und unbemerkt Platz genommen hatte, das weiß ich nicht. Bereit, auszusteigen war es jedoch auch nicht.

Schild Kölner Weg

Sollte das Bergische sich etwa doch schon heimlich in mein Herz geschlichen haben?

So kam das Gefühl mit uns. Ich hatte keine andere Wahl als es zu akzeptieren. Sollte es bis zum nächsten Morgen bleiben wollten, konnte ich mich dann noch immer mit ihm beschäftigen.

Es war immer noch da. Auf der Fahrt zurück ins Bergische dachte ich an etwas, das ich vor Kurzem gelesen hatte: Viele konzentrieren sich bei Veränderungen nur auf das Neue, Bevorstehende. Vergessen, anzuerkennen, was sie verloren haben, es vielleicht auch zu betrauern. So war es bei mir auch. Bisher hatte ich mich nur darauf konzentriert, was jetzt wieder toll werden sollte. Nicht zugelassen, einfach nur traurig über das zu sein, was in der Vergangenheit toll war, in der Gegenwart aber nur unwiederbringbare Erinnerung. Die Koffer der Vergangenheit nie wirklich ausgepackt.

Besonders aufgefallen war mir das erst vor Kurzem, als ich im Rahmen einer Social-Media-Challenge viel über Buddys und Ambers Welpenzeit und damit zwangsläufig unserem Aufenthalt in Katar erzählte. Nach jedem Post erschienen alle möglichen Bilder vor meinem inneren Auge, dabei lag es bereits so viele Jahre zurück. Nachts träumte ich vom Meer, der Freiheit, meiner Wohnung und unseren Spaziergängen. Zurück will ich gar nicht mehr, irgendwie fühlte es sich in meiner Erinnerung jedoch an, als sei es gar nicht ich gewesen dort vor Ort, als sei es gar nicht Teil von mir.

Genauso ging es mir auch mit anderen Orten, die ich zurück gelassen hatte. Verlassen hatte für neue Gelegenheiten. Orte, die auch für mich für schöne Erinnerungen stehen, mit Leuten verbunden sind, die mir sehr am Herzen liegen und die ich gerne in mein heutiges Leben mitnehmen möchte.

Als ich schließlich am Ortseingang am Willkommens-Schild vorbei fuhr, wurde mein Herz ein wenig warm. Ich dachte daran, mit welcher Wärme die Kölner Umgebung mich von Beginn an aufgenommen hatte. Wie nett alle gewesen waren. Freute mich auf meine Wohnung. Zuhause schaute ich mich um, war froh, die neue Heimat erst einmal nicht wieder hergeben zu müssen.

Hundespaziergang am Rhein

Ob sich die Sachen, die mich stören, in Luft auflösen werden? Bestimmt nicht. Allerdings konnte ich sie bereits in den ersten Tagen zuhause differenzierter betrachten. Doofe Sekunden absplitten vom “alles ist doof, ich muss hier weg” in “das war ein doofer Moment”. Ein riesiger Schritt. Die glückliche Erleichterung darüber trage ich jetzt erst einmal mit mir Herum.

Habe mir ein paar Tage spontane Auszeit genommen, um das zu tun, was ich in den letzten Monaten nicht mehr konnte: Die Umgebung und meine neue Heimat zu genießen. Offen zu sein. Es mir gut gehen zu lassen. Vielleicht etwas Neues kennenzulernen. Aber auch, mir Zeit zu nehmen, das, was war, zu verabschieden. Genau zu beleuchten, was es ist, dass mich dort so glücklich gemacht hat. Vielleicht sind es Kleinigkeiten. Dinge, die ich auch hier noch einbauen kann. Wenn nicht, einfach dankbar dafür zu sein, dass ich sie erleben durfte.

Vor allem aber, endlich einmal etwas zu genießen: Das Gefühl nämlich, vielleicht doch endlich wieder angekommen zu sein.

Lasst es euch gut gehen.

Sie

1 Reply to “Home is where the Dom is oder Holzwege”

  1. Liebe Kerstin,
    ich freue mich gerade sehr! Und ich finde diesen Vergleich „Wir sind uns so ähnlich.“ immer gruselig, wenn mir das jemand sagt, weil es einen nur ein mal gibt aber ich kann mir den Satz nicht verkneifen: Wir sind uns in manchen Seelendingen ähnlich und das finde ich toll!
    Schlaft schön und ich bin sehr froh, dich in der Nähe zu wissen.
    Nina

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