Neben mir stehen die Pancakes aus Haferflocken, Ei und Bananen aus der Lebensmittelrettung. Gerade warte ich noch auf die Heidelbeeren, die auftauen. Bei dem Anblick der Packung schweifen meine Gedanken kurz ab nach Schweden, wo wir nächstes Jahr ein Dogtrekking machen möchten. 

Es ist fast zwölf, die Pancakes sind mein Frühstück. Ich habe bis 10.00 Uhr geschlafen. So spät stehe ich eigentlich nie auf, doch nach den letzten Wochen scheint mein Körper die Erholung sehr nötig zu haben. 

Wenn schon die Morgenrunde zu viel ist

In letzter Zeit war alles etwas schwerfällig, und so lief die erste Morgenrunde auch heute nicht ganz so, wie ich mir das gestern Abend beim Zubettgehen vorgestellt hatte. Noch völlig vermatscht hatte ich Amber ins Geschirr gepackt, Ben den Dino-Mantel und Indy das Halsband angezogen und ab ging es nach draußen. Nachdem wir gestern zwei unschöne Hundebegegnungen vor der Haustür hatten, blieben die Leinen dieses Mal kurz.

Der Weg zum Wald war von den kurzen Regenschauern der letzten Tage voll grauem Matsch, die Leinen schleiften jedes Mal am Boden, wenn Amber stehen blieb, um zu schnüffeln und die Jungs dadurch unsanft in ihrem Erkundungsdrang gebremst wurden. 

Der Rolle des Zwischenpuffers war ich noch nicht gewachsen und so beschloss ich, die Runde auch heute wieder abzukürzen und später mit den Jungs noch eine längere zu drehen. Vielleicht würden wir es heute Mittag ja zum Schloss Mespelbrunn schaffen, eine Tour, auf die ich aus unserer Richtung schon lange neugierig war. 

Kurz vor unserem Haus blickte sich Ben plötzlich um. Hinter uns lief in einigem Abstand ein Mann. Eigentlich wollte ich weiter, dann wiederum Ben auch nicht hinter mir herziehen. Sein Bedürfnis besteht nun einmal daraus, Dinge durch Stehen und Schauen zu erkunden. Der Mann kam immer näher. Nun wollte ich wirklich weiter. Ben war nicht ansprechbar. Wie gefroren stand er vor mir und blickte den Mann an, der nun den kleinen Wall erklomm und auf uns zulief. Indy begann zu bellen. „Kennen die keine Menschen?“ fragte der Mann. 

Ungefragte Expertise – der Moment, in dem alles kippt

Wollte ich  nun wirklich alles erklären? Eine vierzehn Jahre alte, taube Hündin, die mittlerweile zufrieden die von ihm angeboten Leckerli fraß, Ben, dessen größter Reiz im Leben Menschen sind und Indy, der im Gegenzug alles und jeden gruselig findet und erst einmal bellt.

Die versammelte Mannschaft geführt von mir, die seit Monaten ein völlig überreiztes Nervensystem mit sich herumträgt, den Tag mit Heulen beginnt und ihn meistens auch ebenso abschließt. Wollte ich nicht. Wollte er aber ja auch gar nicht hören.

„Drei sind zu viel zum Erziehen“, „Ich arbeite mein Leben lang schon mit Hunden“ und „Man zeigt es über die Körpersprache“ prasselte sein Erfahrungsschatz auf mich ein, während Ben sich an ihn schmiegte und auch Indy sich herantraute, irgendwas mit Haferflocken speiste und immer mehr Vertrauen fasste.

„Eigentlich brauche ich so jemanden in meinem Leben“ dachte ich kurz, doch dann: Nein, natürlich brauche ich das nicht. Wir wissen alle, dass das extrem übergriffig war und in dieser Form nicht hätte stattfinden dürfen. Dennoch hat seine ruhige Art meinem aufgeriebenen Nervensystem für eine Millisekunde ebenso gut getan wie meinen Hunden. Fast hätte ich mir gewünscht, dass auch ich etwas selbst gemachtes mit Haferflocken futtern könnte.

Rückzug ins Bad

Zurück im Haus jedoch sah das ganz anders aus. Ich leinte die Hunde ab, versteckte mich im Bad und weinte. „Immer nur wird mir gesagt, was ich alles falsch mache, keiner sieht, was ich eigentlich kann, ich will die Hunde so nicht mehr, ich will einfach meine Ruhe.“ Wumms. Das saß.

Amber hat sich längst an meine Heulmomente gewöhnt, Ben und Indy jedoch warteten irritiert vor der Tür und wunderten sich, weshalb es nach der Morgenrunde kein Frühstück gab. 

Erst Anfang der Woche hatte ich mit Anke Aschhoff einen Termin gebucht. Anke ist Tierphysio und Stresscoach für Hund und Mensch.

Aus dem Bauchgefühl heraus, Ben noch etwas Gutes zu tun und auch sein Nervenkostüm nach den vielen Veränderungen in den letzten Monaten vielleicht ein wenig beruhigen zu können, hatte ich ein Gespräch mit ihr vereinbart.

Am Ende war das Ergebnis daraus schon ein eine heftige Erkenntnis. Wo war ich eigentlich gelandet? Den ganzen Tag brabbelte ich auf die Hunde ein, versuchte, jede Bewegung kontrollierbar zu machen, um mir damit etwas Erleichterung und Ruhe zu verschaffen.

Wollte ich ein solches Gegenüber sein? Die Frage brauchte Anke nicht einmal zu Ende stellen, hatte ich doch selbst in der Vergangenheit erlebt, wie sich Beziehungen anfühlen, in dem man dem anderen dauerhaft „zu viel“ ist. Auch der Gedanke, dass meine Hunde in ständiger Hab-Acht-Stellung vor meinem nächsten Verzweiflungsausbruch leben müssten, war schwer zu ertragen. 

Verlässlichkeit heißt nicht Kontrolle

Und: Dieses Bild vor Augen hat endlich etwas geschafft, was ich in anderen an mich herangetragenen Variationen nie zulassen konnte. Verlässlichkeit meinen Hunden gegenüber – früher dachte ich immer, wie soll ich das als ADHSler, der Struktur hasst wie ein Korsett, meinen Rabauken bieten.

LAAANGWEILIG!!

Das kann ich einfach nicht, sie werden sich schon daran gewöhnen, das haben die anderen schließlich auch. Und die Grundpfeiler wie Futter und Anzahl der Hunderunden sind ja auch bei uns immer gleich. 

Das Verlässlichkeit aber eben auch bedeutet, nicht alles kontrollieren und im Griff haben zu wollen und jedes Mal genervt zu reagieren, wenn die Räuber eben nicht so „funktionieren“ wie ich das möchte, das wurde mir in der Form erst letzte Woche bewusst. Ich fragte mich auch, wann es eigentlich dazu gekommen war, tendiere ich doch sonst eher dazu, den Hund auch Hund und nicht einen emotionslosen, funktionierenden Roboter sein zu lassen. 

Die Antwort war einfach: Wenn die To Do-Liste endlos ist und man wieder fröhlich fährt im Riesenhamsterrad mit bunten Lichtern und Musik, wenn man sich selbst kaum noch halten kann, die Kraft am Ende ist, dann läuft es drumherum eben nur noch dann, wenn das Gegenüber keine Forderungen mehr stellt, sondern sich einfach einfügt und funktioniert. 

Kein guter Zustand. Für keinen für uns. Das Gespräch mit Anke hat also gut getan, das Loslassen sämtlicher Sinnlos-Kommandos war einfach und ich setze es schnell um. Die vorgeschlagenen Anker zur Stärkung der Verlässlichkeit führte ich genauso ein, we den Fokus auf mich in meinem Kopf.

Innerhalb immens kürzester Zeit führte dies zu einer enormen ersten Entspannung. Ironischerweise hatte ich genau das auch auf unserer Runde heute früh praktiziert: Konzentration auf mich, ich wollte nicht von Leinen im Matsch gebadet und einer schleichenden Süßoma ausgebremst werden, bevor ich meinen ersten Kaffee getrunken hatte. 

Wenn Hunde einen Platz einnehmen, den sie nicht wollen

Was aber die Hundebegegnungen gestern und das Treffen mit dem Jäger heute noch hervorbrachten, war deutlich heftiger, waberte die ganze Zeit schon irgendwo, tat weh und fühlte sich dann doch wie eine Erleichterung an:

Über die letzten Jahre haben die Hunde für mich eine Position besetzt, die sie gar nicht besetzen können. BaBumm, TaDa, Trommelwirbel, tausendmal gelesen. Kein Kindersatz, nein. Irgendwie aber halt schon den Ersatz eines Social Lifes, echter zwischenmenschlicher Beziehungen. 

Nie war es mein Ziel, es hat sich eher schleichend ergeben. Ben konnte nicht alleine bleiben, also ging ich immer weniger weg. Konnte er nicht dabei sein, konnte es für mich nicht stattfinden. So wurde meine eigene Welt kleiner und kleiner und kleiner.

Auch in Situationen, die alternativ meinen Akku aufladen konnten, fühlte er sich nicht besonders wohl, war überfordert, überdreht, immer ein wenig zu viel. Entspannt für mich war das nicht, also mied ich schließlich auch diese. 

Im Umkehrschluss war ich beleidigt, wenn er dann „trotz meiner Mühen“ Verhalten an den Tag legte wie eben bei Hundebegegnungen oder wenn er sich bei Menschen nicht zum Weitergehen bewegte. 

Dazu noch die ständigen Ortswechsel. Ohne Pause. Ohne Ankommen. Ohne festen Freundeskreis.

In den letzten Wochen war ich extrem glücklich darüber, dass ich mir mit kleinen Fenstern von alleine bleiben im Auto zumindest einen Minifreiraum für mich schaffen konnte. Das schlechte Gewissen überschattete mich jedoch bei allen dieser Ausflüge wie ein Riese mit Gigarucksack. 

Ein schmerzhafter Knoten – und plötzlich wieder Luft

Nun ist da ein schmerzhafter Knoten geplatzt. Wenn meine Hunde wieder Hunde sind und ich keine – auch nicht unbewusst – Dankbarkeit erwarte, für die „Opfer“ die ich da bringe, wie frei kann denn dann mein Alltag wieder sein!

Wie einfach ist es plötzlich, wieder zu sehen, dass auch ich nicht in einer WG leben möchte, in der ich verantwortlich gemacht werde dafür, dass mein Gegenüber komplett ausgebrannt und erschöpft ist, weil sie „nicht einmal ein paar Stunden für sich haben kann“.

Ich bin ja selbst auch lieber mit jemandem zusammen, der seinen Alltag so gestaltet, wie es ihm Freude macht und dann die Zeit mit mir präsent und zufrieden genießt. 

Wie sich das nun im Detail darstellen wird, werden wir sehen. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich, ausgerechnet ich, die immer einen fairen Umgang mit meinen Tieren vor alles andere stellt, schnell realisiert habe, dass der momentane Umgang vielleicht gar nicht so fair ist. Und das nicht nur, weil ich überlastet bin und dann genervt reagiere, sondern auch, weil ich Erwartungen projiziere, die meine Räuber gar nicht erfüllen können und auch niemals sollten. 

Und während jetzt schon wieder die Tränen fließen, bin ich glücklich darüber, dass all meine Arbeit an mir selbst auch zu solchen Erkenntnissen führt und man im Leben mehrfach die Chance bekommt, Dinge noch einmal etwas anders zu machen. 

Lasst es euch gut gehen, 

 

Kerstin mit Ben, Indy,  Amber und Buddy immer im Herzen

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