Mitten in der Nacht geht plötzlich das Licht an. Simulierter Sonnenaufgang – natürliches Aufwachen. Natürlicher Schönheitsschlaf wäre mir lieber. Sie dagegen ist nicht zu halten. Selbst fürs Morgenyoga hat sie noch Energie. Geht’s noch, junge Frau, es ist halb 3! Als ich langsam zu mir komme, verstehe ich: So war das doch schon mal. Im Winter, als er und ich auszogen, uns einen schönen Urlaub zu machen, während der Labrador und sie zuhause schuften mussten. Ich beobachte sie eine Weile. Tatsächlich, sie machen sich fertig, tragen Koffer und unsere Betten zum Auto, beladen es bis oben hin. Ohne Leine dürfen wir an die Ecke für unsere Morgentoilette, unters Frühstück gibt es leckeren Frischkäse und dann geht es auch für uns ab ins Auto.
Monoton brummt es vor sich hin, Kilometer um Kilometer. Sie ist angespannt. Viel hat sie nicht gerade geschlafen. Der Sonnenaufgang hebt jedoch schlagartig ihre Stimmung. In den tollsten Farben malt er sich den Himmel entlang, bringt den Morgentau auf den Feldern zum Glitzern und lässt den Nebel in seinem immer stärker werdenden Licht tanzen.
Am ersten Etappenziel dürfen wir mit aussteigen. Ich strecke mich, und alle anderen Hunde am Rastplatz erstarren vor Ehrfurcht. Selbst den Schuh über meiner verletzten Pfote trage ich mit einer solchen Anmut, dass keiner es bemerkt.
An der Tankstelle müssen wir warten. An der Grenze müssen wir warten. Beim Bäcker in Hvide Sande müssen wir warten. Langsam habe ich keine Lust mehr. Der Labrador neben mir jammert. Seine Geduld ist noch geringer als meine, von “etwas mit Fassung tragen” hat er noch nie gehört.
Als wir an der Vermietung anhalten und unseren Schlüssel abholen wollen, ist das Haus noch nicht fertig und er dreht durch. Bellend tut er seine Empörung kund. Meine Ohren, du Holzkopf! Ich wünschte, er könnte sich einmal zusammenreißen! Tatsächlich haben sie jedoch Mitleid mit ihm. Sie fahren schon einmal ans Haus und zeigen uns trotz Regen die Umgebung. Nicht, dass ich das bräuchte. Ich war schließlich schon einmal da, bin quasi fast Local.
Kurze Zeit später können wir den Schlüssel holen. Sie versuchen etwas Neues mit uns, lassen uns nicht zum Erkunden durch die Wohnung flitzen, sondern führen uns. Whatever. Das Haus ist ganz nett. Der Kamin auch. Der Labrador und sie drehen durch vor Begeisterung. Ich zwinkere ihm zu – so leicht beeindrucken lassen wir uns nicht, wir haben schon besseres gesehen. Sind ja schließlich fast Locals.
Wir lassen ihnen die Freude und setzen uns mit ihnen auf die Terrasse. Ankommen, Kaffee trinken, Kuchen essen. Für uns Rabauken gibt es nichts. Das Paket mit den Leckerli ist nicht rechtzeitig angekommen, deshalb schauen wir doof aus dem Fell. Artgerecht ist etwas anderes!
Am nächsten Morgen gehen wir an den Strand. Huch, ist das voll. Beim letzten Mal waren wir fast allein. Anscheinend haben noch andere die kurze Woche mit Maifeiertag genutzt, um sich eine Auszeit zu gönnen. Für mich wird das wohl keine – immer im Dienst muss ich mich permanent darum kümmern, dass alles seine Ordnung hat.
Was ist mit den Wellen los? Warum sind die so wild? Könnt ihr nicht mal ruhiger sein? Und die Hunde – wieso laufen die da? Spaß? Wer hat euch das erlaubt? Ich rette die Welt! Ein bisschen anstrengend ist das ja schon. Aber ich weiß, für meine Dienste werde ich später von ihm fürstlich belohnt. Mit endlosem Kraulen. Da nehme ich auch in Kauf, dass sie vielleicht ein wenig genervt von mir ist. Und Schmerzen im Ellbogen hat.
So richtig sauer ist sie gar nicht. Irgendwie macht sie die Umgebung gleich entspannt. Sie lässt sich Zeit mit uns, fährt runter. Bleibt auch mal länger stehen, lässt uns schnüffeln, entdeckt selbst, saugt den salzigen Duft des Meeres ein, lässt den Wind durch ihre Haare wehen.
Abends legen wir uns vor den Kamin. Mir ist das zu warm, aber der Labrador ist völlig angetan. Langsam rutscht er immer und immer näher. Ich dagegen liebäugle mit dem Sofa. Als er und ich im Urlaub waren, durfte ich mit ihm dort kuscheln. Jetzt ist sie dabei. Sie ist immer so streng. Obwohl wir eine Schondecke dabei haben, will sie nicht ja sagen. Er und ich haben jedoch einen Trick: Wenn sie draußen ist, springe ich heimlich hoch zu ihm. Dann kuscheln wir. Wie er den Augenaufschlag perfektioniert, habe ich ihm auch gezeigt. Dann kann sie nicht böse sein und lässt uns machen. Ich kriege einfach immer, was ich will. Und gekrault werde ich auch noch.
An dem Tag, an dem sie ihre Ruhe will, fahren wir in den Wald. Freunde haben den erkundet. Mit Geocaching. Sie ist sehr entspannt heute. Wir müssen nirgendwo hin schauen, nicht darauf achten, ob jemand kommt. Deshalb kann ich heute helfen. Konzentriert drücken wir die Nasen auf den Boden, suchen fleißig mit, wenn sie stehen bleiben.
An einer Station im Wald fängt sie auf einmal an zu laufen. Geräusche sind hinter uns. Sie denkt, es sind Wildschweine und rast zurück auf den Weg. Wir denken, es sind Vögel, tun ihr aber den Gefallen und rasen mit. An einer anderen Stelle finde ich die Box. Sofort schrauben sie ihre Hoffnungen nach oben – ein ausgebildeter Spürhund, begnadete Geocacherin! An jeder neuen Station warten sie aufgeregt, wohin ich mich wende, wo ich schnüffle. Wie süß ihr seid! Ehrlich? Ihr kennt mich doch schon eine Weile jetzt. Den Gefallen tu ich euch nicht! Auf Kommando schon mal gar nicht. Dass ihr euch so auf mich konzentriert, gefällt mir trotzdem gut.
Das tollere Fundstück muss ich allerdings dem Labrador zugestehen. An einer Stelle im Wald wächst er über sich hinaus. Stolz aufgerichtet, wie immer, wenn er etwas trägt, läuft er voran. Das Stöckchen, das er gefunden hat, will er nicht hergeben. Das Stöckchen, das er gefunden hat, hält er gut fest. Das Stöckchen, das er gefunden hat, ist nämlich ein Bein. Von einem Reh. Was hätte ich an seiner Stelle damit angestellt! Gelaufen wäre ich. Über Wald und Wiese. Hätte mir ein schattiges Plätzchen gesucht. Es genüsslich zerkaut. Er dagegen? Gibt es her. Tauscht es ein. Gegen ein paar Hundeleckerli aus dem Supermarkt. Du kleines, naives Ding!
Die meisten Tage verbringen wir am Strand. Manchmal, in ganz besonderen Momenten, haben wir einen Abschnitt ganz für uns allein. An der Mole in Hvide Sande zum Beispiel. Es ist bewölkt und wechselhaft, aber wir genießen den Moment. Sie hat uns die Schwimmente eingepackt, die wir im letzten Jahr beim Wichteln bekommen haben. Abwechselnd dürfen wir dem orangenen Teil hinterher jagen. Was für ein Spaß! Da geh ich sogar ins Wasser für! Der jeweils andere wartet bei ihm und schreit solange, bis er wieder dran ist. Zu einfach wollen wir es ihm und der Kamera schließlich auch nicht machen.
Fast jeden Nachmittag gibt es für sie Kuchen. Besondere Kuchen seien das, ganz außergewöhnlich lecker. Er kennt einen bestimmten Bäcker, bei dem wir immer halten. Wenigstens haben sie uns in der Zwischenzeit auch etwas Leckeres vom Supermarkt organisiert. Abends sitzen wir dann wieder gemeinsam beim Feuer. Der Labrador zählt die Stunden bis zum Abendessen. Haben wir gegessen, schaut er beim Kochen zu. Nicht so offensichtlich, Holzkopf, sonst schickt sie dich doch weg! Ein, zwei Mal gelingt es ihm, hungrig genug auszusehen. Damit es nicht unfair ist, bekomme ich natürlich auch ein Stück. Seht ihr, wie das geht?
Zum Ende des Urlaubs schauen wir uns noch den Untergang der Sonne am Leuchtturm an. Auch wenn der Labrador ganz romantisch wird, habe ich nur Augen für ihn. Ich weiß, im Dezember kommen wir wieder. Ziehen los, uns eine schöne Zeit zu machen, während der Labrador und sie zuhause schuften müssen. Werden die Zeit in unserem Haus genießen. Unseren Strand für uns alleine haben. Ohne andere Menschen und andere Hunde. Ganz ohne Sightseeing. Das brauchen wir nicht mehr. Sind ja quasi Locals.
Kisses for me
Amber